Leben mit der Einsturzgefahr

Kultur / 23.08.2019 • 18:04 Uhr / 3 Minuten Lesezeit
Das flüssige LandRaphaela EdelbauerKlett-Cotta350 Seiten

Das flüssige Land

Raphaela Edelbauer

Klett-Cotta

350 Seiten

Raphaela Edelbauer ist für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Roman Beide Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Es scheint ihr klarer letzter Wille gewesen zu sein, in ihrem Heimatort Groß-Einland beerdigt zu werden. Man möchte meinen: Keine große Sache für eine erwachsene Frau, die als theoretische Physikerin ganz andere Probleme zu lösen gewohnt ist. Doch der Ort scheint auf mysteriöse Weise unauffindbar. So beginnt der Roman „Das flüssige Land“.

Die 29-jährige Wienerin Raphaela Edelbauer steht (etwa neben der Vorarlbergerin Eva Schmidt) auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Eine erste Anerkennung, der wohl noch einige folgen werden. Denn der Roman setzt eine Traditionsspur der literarischen österreichischen Moderne fort und bohrt gleichzeitig in die Tiefe. Er verbindet eine düstere, unbewältigte politische Vergangenheit mit einem der großen Themen unserer Tage: die Rache der vom Menschen ausgebeuteten Natur. Alles unter uns ist morsch und hohl und droht einzustürzen. Schuld an der sich immer deutlicher abzeichnenden Katastrophe sind wir selbst. Den von ihr ausgebreiteten Schrecken konterkariert Edelbauer mit Witz und Intelligenz. Sie beruft sich nicht nur auf den klassischen österreichischen Antiheimatroman, lässt Elfriede Jelinek (eine „Schwester Elfriede“ irrlichtert durch den Roman) und Hans Lebert anklingen und beginnt wie die Gebrüder Grimm im Märchenwald.

Groteskes

Sie lässt auch in der liebevollen Beschreibung des kulissenhaften Dorfes Groß-Einland an ihre gleichaltrigen Kolleginnen Vea Kaiser („Blasmusikpop“) und Marie Gamillscheg („Alles was glänzt“) denken und rekurriert im Verhältnis des Dorfes zum darüber liegenden Schloss, von dem aus eine Gräfin alles unter Kontrolle hat, deutlich auf Franz Kafka. In ihren eindringlichen Bildern von Land und Leuten verbindet Edelbauer Grusel- und Heimatfilmästhetik – nur dass die Gefahr nicht von seelenlosen Zombies, sondern von der Leere ausgeht, die durch langjährigen Raubbau unter dem Ort entstanden ist. Verwerfungen und Senkungen, Spalten und Löcher verwandeln das pittoreske Ortsbild in ein groteskes Zerrbild. Edelbauer findet Gefallen an der Groteske: Die sich abzeichnende ultimative Katastrophe, bei der das immer größer werdende Loch alles in die Tiefe zu reißen droht, soll nach dem Willen der Ortsobersten heroisch verklärt und in einem grandiosen Festakt ausgebeutet werden.

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