Das Nonplusultra an baritonaler Sangeskunst

Kultur / 26.08.2019 • 16:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Das Nonplusultra an baritonaler Sangeskunst
Der Südtiroler Andrè Schuen mit seinem Liedbegleiter Daniel Heide im Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg. SCHUBERTIADE

Der Südtiroler Andrè Schuen adelte Schuberts „Winterreise“ zum einsamen Gipfelsieg.

SCHWARZENBERG Schuberts Zyklus „Winterreise“ ist für jeden Liedgestalter von Rang eine lebenslange Herausforderung, an der manche auch gescheitert sind. Doch so zwingend, überzeugend, sprachlos machend wie Andrè Schuen diese Aufgabe am Sonntagabend bei der Schubertiade bewältigte: Das hat man auch hier, in diesem Zentrum der Liedpflege, lange nicht erlebt. Vielleicht, weil dieser junge Bariton aus dem ladinischen La Val in Südtirol mit dem Odeur eines Naturburschen wohl von Jugend an gewohnt ist, hohe Berge zu erklimmen und damit auch diesen Tschimborasso des Liedgesanges bezwingt.

Bereits im Vorjahr hat er in Thomas Larchers Oper „Das Jagdgewehr“ bei den Bregenzer Festspielen Aufsehen erregt, bei der Schubertiade ist er seit 2015 in verschiedensten Bereichen unverzichtbar geworden. Die „Winterreise“ war der dritte seiner vier Auftritte heuer, eine Krönung seiner Laufbahn, die in der Fachwelt noch lange nicht jenen Status erreicht hat, den sie verdienen würde. Und da steht er nun, eine respektable Bühnenerscheinung, wagt sich mit seinen 35 Jahren bereits an diesen kolossalen depressiven Psycho-Zyklus aus Seelenpein und Lebensüberdruss. Und macht sofort deutlich, dass da bei ihm vielleicht Respekt vorhanden ist, aber keine Spur von Angst. Bei seinem langjährigen Liedbegleiter Daniel Heide fühlt sich Andrè Schuen geborgen und getragen, jedenfalls gut aufgehoben.

Glaubhaft

Und so gehen sie die Sache gemeinsam an, „Fremd bin ich eingezogen“, als Start einer Reise, von der jeder im Saal weiß, dass sie für den Wanderer letal enden wird, beim „Leiermann“ als Symbol des Todes. Auch auf seine wohltönend warme Stimme, die er kernig und geschmeidig sicher durch alle Register bis ins bruchlose Falsett führt, kann sich Schuen blind verlassen. Es ist das Nonplusultra an baritonaler Sangeskunst derzeit, mit einer ganz breiten Palette vom lyrischen Pianissimo bis zum heldischen Aufbegehren gegen sein Schicksal, dramatisch, ohne dass er dabei seine Opernstimme auszupacken braucht. Mit der Ausdrucksskala seiner Befindlichkeiten geht Schuen dafür sehr sparsam um, wirkt damit umso glaubhafter. Dort ein winziges Mienenspiel, hier eine unscheinbare Geste, mehr nicht.

Der oft idealisierte „Lindenbaum“ offenbart trügerische Hoffnung, „Der Wegweiser“ führt auf eine Straße, „die noch keiner ging zurück“, das „Wirtshaus“ wird zum Friedhof, alles wirkungsvoll in perfekter Diktion. Die beiden Künstler pflegen auch eine sehr individuelle, effektvolle Tempo-Dramaturgie: Die bewegten Lieder machen sie schneller, bei den langsamen scheint die Zeit stehen zu bleiben. Ein kleiner emotionaler Durchhänger wird brillant in Spannung umgewandelt: „Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!“ Der Saal hängt an Schuens Lippen, lebt und leidet atemlos mit. Nach einer Gedenkminute will sich der Jubel lange nicht beruhigen. Fritz Jurmann

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