Die Freiheit der Kunst gewahrt

Schon zur Eröffnung der Tage zeitgemäßer Musik zeigten sich die klaren Vorgaben der Intendantin Clara Iannotta.
BLUDENZ „Zeitgenössische Kunst muss den Künstlern größtmögliche Freiheiten schaffen, dafür bin ich angetreten.“ Diesen Leitsatz stellte die Italienerin Clara Iannotta (36), im Vorjahr ausgezeichnet mit dem europaweit renommierten Preis der Ernst-von-Siemens-Stiftung in Höhe von Euro 35.000, als Intendantin und Kuratorin der sechsten Ausgabe der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik (btzm) voran und ermunterte damit die internationale Komponistenriege des Festivals, mit ihrer Musik auch unerforschte und bisher ungeahnte Freiräume zu erobern.
Einen Sog geschaffen
Da ließ sich der britische Komponist Sam Salem nicht lange bitte und setzt zusammen mit seinem siebenköpfigen Ensemble Distractfold gleich am Beginn mit dem für Bludenz konzipierten abendfüllenden Werk „Midlands“ von 45 Minuten einen Paukenschlag, der genau ins Nervenzentrum dieses aktuellen Trends trifft. Denn diese erste von heuer insgesamt 13 Uraufführungen in fünf Konzerten ist sehr vieles, nur nicht Musik im herkömmlichen Sinne, und setzt damit einen Trend fort, der sich bereits in den vergangenen Jahren hier abzeichnete. Das Werk steht außerhalb jeder gängigen Form und Ausdrucksweise eines Musikstücks – es ist eine Art Inszenierung, ein Gesamtkunstwerk aus Licht, Livemusik und elektronisch verbrämten Geräusch-Collagen in einem genau ausgeklügelten Sound-Design mit exakt synchronen Multimedia-Zuspielungen. Und man erkennt rasch: Diese eigenwillige Performance besitzt zweifellos Substanz und schafft einen eigenen Sog, bei dem die Konzentration auf der Bühne ebenso hoch ist wie im Saal. Da wird die Geschichte einer rituellen Reise durch die postindustrielle Geburtsstadt Derby des Komponisten Sam Salem erzählt. Das lässt sich in permanentem Halbdunkel mit großer Ruhe fast meditativ an, getragen von einem undefinierbar dunklen Geräuschteppich, aus dem immer wieder das Kratzen der Streicher und Luftgeräusche der Bläser aufflackern, um das Süppchen am Köcheln zu halten.
Bedrohliche Sounds
Auch The Voice ist hier bloß ein Teil des Ganzen, eine instrumental geführte Stimme zwischen Flüstern und Würgen, weitab von jedem Anspruch an Schönheit. Dieweil konzentriert man sich auf die packenden Bilder in den vier Sätzen, in denen es um Feuerwerk, Baumwolle-Naturbilder, die britische Fahne, die in ihre Bestandteile zerfällt („There Ain’t No Black in The Union Jack“) und ratternde Webstühle geht. Die Geiger schlagen dazwischen mit ihren Bögen auf große, im Saal aufgespannte Stahlspiralen und erzeugen oft bedrohliche Sounds. Erst gegen Ende hellt sich die Szenerie mit Bildern eines friedlichen Flusses mit Schwänen zu einer Idylle auf, in der auch die Musik samt Akkordeon zu Tönen findet, die manchen der gerade 50 Zuhörer in der Remise wieder versöhnen.
International
Doch die Besucherfrequenz der Tage zeitgemäßer Musik ist Clara Iannotta ohnedies nicht so wichtig. Es ist die Freiheit der Kunst, die sie bei ihren aufregenden Programmideen gewahrt wissen will. Und weiß sich damit auch eines Sinnes mit Wolfgang Maurer vom veranstaltenden Verein allerArt, wenn sie deshalb ein alle Konzerte umspannendes, publikumsfreundliches Motto rundum ablehnt, ebenso wie eine im Vorjahr erfolgte Annäherung des Programms an die Szene der Region: „Wir sind ein international ausgerichtetes Festival, das seine Bedeutung und Ausstrahlung jährlich allein durch die regelmäßige Übernahme unserer Produktionen an internationalen Festivals beweist.“

Weitere Konzerte, Bludenz, Remise: 5. Oktober, 20 Uhr: Distractfold String Trio; 6. Oktober. 11 Uhr: duo XAMP; 17 Uhr, Ensemble NIKEL
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