Treffend und alle betreffend

Kultur / 14.10.2019 • 11:00 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Treffend und  alle betreffend
Heidi Maria Glössner in „Das Jahr magischen Denkens“, einer Koproduktion des Berner Theaters an der Effingerstraße und des Landestheaters Vorarlberg.  LT/NOVACKI

Premieren am Kornmarkt: Landestheater kooperiert mit Schweizer Bühnen.

Bregenz Ein gutes Stück, vermittelt mit Bedacht auf jedes Wort, eine Schauspielerin, die man auch hierzulande vom Film kennt und wieder einmal gut besetzte Theaterreihen, die am Kornmarkt auch bei Premieren zuletzt leider keine Selbstverständlichkeit mehr waren. Dazu war am Samstagabend auch noch viel jugendliches Publikum zu sehen. Die zweite Produktion der neuen Saison am Vorarlberger Landestheater hat viele positive Merkmale. „Das Jahr magischen Denkens“ von Joan Didion mit Heidi Maria Glössner ist eine Koproduktion mit dem Theater an der Effingerstraße in Bern. Derlei Zusammenarbeit mit anderen Bühnen hat es an diesem Haus länger nicht mehr gegeben. Schon in dieser Woche folgt mit „Antigone::Comeback“ die nächste Koproduktion, mit der sich Intendantin Stephanie Gräve erneut in Richtung Schweiz orientiert. Das Premierenrecht hat man allerdings in beiden Fällen an die jeweiligen Partner abgegeben. Die neuen Produktionen wurden in Bern und Chur längst gespielt oder sind sogar abgespielt.

Bei „Das Jahr magischen Denkens“ ist ein zweiter Fakt anzumerken. Der Bestseller von Joan Didion, auf dem die Bühnenadaptierung basiert, erschien bereits vor etwa 15 Jahren, Vanessa Redgrave gastierte mit dem Monolog bereits vor über zehn Jahren bei den Salzburger Festspielen. Wer sich für amerikanische Literatur interessiert oder den Hype, der mit der Veröffentlichung des Werks einherging, bemerkt hat, dürfte das Buch längst im Regal haben. Die kleine Berner Bühne hat sich wohl darauf besonnen, weil das Thema ein universelles, nie ausgeschöpftes ist. Und das Vorarlberger Landestheater zieht mit.

Liebe und Tod

Es ist unter anderem der größte Antrieb im Leben und die Tatsache, dass wir uns mit jeder Minute, in der wir leben, im Grunde dem Tod nähern, was uns Menschen zu Kulturschaffenden gemacht hat. Joan Didion (geb. 1934), bekannte, in New York lebende Essayistin und Journalistin, hat in „Das Jahr magischen Denkens“ ihre unmittelbare Betroffenheit verarbeitet. Ihr Mann, der Schriftsteller John Gregory Dunne (1932-2003), erlitt vor ihren Augen im Wohnzimmer einen Herzanfall. Zuvor hatte man gerade die Tochter besucht, die mit einem septischen Schock auf der Intensivstation liegt. Mit der Ankunft des Notarztteams, der Aufnahme im Krankenhaus, der Aushändigung der Papiere des soeben Verstorbenen, den knappen Worten der Ärzte oder des Zivildieners, kurz, mit der reinen Schilderung der Ereignisse, thematisiert Didion wie Menschen in solchen Momenten in den Funktionsmodus schalten. Die Zeit erhält eine andere Dimension. Der Abend hatte ruhig begonnen, man sprach über die gerade anstehende literarische Arbeit, das Abendessen wurde zubereitet. Danach stellt sich für Joan die Frage, ob sie den Tod durch ihr Verhalten irgendwie verhindern hätte können.

Es sind nicht Selbstverwürfe, mit denen sich die Theaterzuschauer beschäftigen, es ist vielmehr die Strategie, es sind die Techniken des Erinnerns, die das Band zwischen Schauspielerin und Publikum im Laufe des Abends immer stärker werden lassen. Regisseur Wolfgang Hagemann hat diesen Aspekt auf der nahezu weißen Wohnzimmerbühne von Peter Aeschbacher gut herausgearbeitet. Und Heidi Maria Glössner nimmt diese Grundstimmung bestens auf. Auch die Tochter stirbt, die letzten Sätze handeln dennoch von der Liebe – treffend und uns alle betreffend.

Weitere Aufführungen von “Das Jahr magischen Denkens” vom 27. Oktober bis 17. Dezember im Theater am Kornmarkt in Bregenz: www.landestheater.org