Marcus Huemer: „Sie reden mit den Geigen “

Kultur / 18.10.2019 • 22:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Marcus Huemer: „Sie reden mit den Geigen “
Marcus Huemer: „Mahler schreibt über das Solo der Kontrabässe in seiner 1. Symphonie, es sollte klingen wie eine besoffene Begräbniskapelle auf dem Land.“ N. HOROWITZ

VN-Interview. Marcus Huemer, Kontrabassist beim Symphonieorchester Vorarlberg (SOV)

Marcus Huemer (geb. 1973 in Bolivien), mit einem Vater aus Oberösterreich, studierte an der Bruckneruniversität Linz und bestand die Abschlussprüfung mit Auszeichnung. Er spielte als Stimmführer im European Philharmonic Orchestra, dem Wiener Jeunesse Orchester, war in der Wiener Kammerphilharmonie tätig, ist seit 2004 Mitglied des SOV und Solobassist beim Musiktheater Vorarlberg und im Symphonieorchester Liechtenstein. Er substituierte in der Volksoper Wien oder im Brucknerorchester Linz und spielt in Formationen für zeitgenössische Musik wie dem Ensemble Plus oder dem Freejazz-Brachialquartett Braaz, weiters in der Appenzeller Volksmusikformation Geschwister Küng. Konzerte führten ihn von Schanghai bis New York, mit Dirigenten wie Ton Koopmann oder Franz Welser-Möst. Er unterrichtet an der Musikschule Hohenems und ist Tutor am Landeskonservatorium.
 
Wie sind Sie zum Kontrabass gekommen?
Über Umwege und spät. Mit 16 ging ich nach Linz zu einer Grafikdesigner-Ausbildung. Ich spielte E-Bass in Metal- und Jazzbands und kaufte einem Schulkollegen einen Kontrabass vom Flohmarkt ab. Ich habe erst mit 25 Jahren Kontrabass zu studieren begonnen, mit 34 war ich fertig. Ich habe mich aktiv für die Musik entschieden, für mich war es eine Herzensentscheidung.
 
Beim Kontrabassspiel gibt es zwei Arten, den Bogen zu halten. Welche wenden Sie an?
Es gibt den Obergriff und den Untergriff, im deutschsprachigen Raum verwendet man den Untergriff. Aber auch da gibt es Unterschiede. Die Wiener Bogenhaltung ist dreidimensionaler, feinmotorisch anspruchsvoller, hat aber auch mehr Artikulationsmöglichkeiten.
 
Welche Rolle spielen die Kontrabässe im Orchester?
Wir sind das Fundament, wir fehlen kaum einmal. Vom Barock bis zur Klassik spielen wir oft das gleiche wie die Celli, nur eine Oktave tiefer, spätestens ab der Romantik sind wir getrennt. Wenn der Kontrabass melodisch eine Rolle übernimmt, ist es oft komisch, grotesk oder gruselig. Mahler schreibt z. B. über das Solo der Kontrabässe in seiner 1. Symphonie, es sollte klingen wie eine besoffene Begräbniskapelle auf dem Land.

In Süskinds Theaterstück “Der Kontrabass“ jammert ein Kontrabassist, dass er nur ein „Tutti-Schwein“ am 3. Pult sei. Wie sehen Sie das?
Das kann nur einer sagen, der die Musik nicht liebt, der einfach irgendwie in den Beruf hineingerutscht ist.
 
Im Symphonieorchester Liechtenstein sind Sie Solobassist. Welche Funktion hat man als Stimmführer?
Man führt die Gruppe, entscheidet über Details, z. B. Bogenstriche, ist für den homogenen Klang der Gruppe verantwortlich und Ansprechpartner während der Proben. Und natürlich darf man die Solostellen spielen, wie bei der Haydn-Symphonie im nächsten SOV-Konzert (da bin ich aber nicht dabei). Da ich begeisterter Orchestermusiker bin, ist es mir gar nicht so wichtig, Solo zu spielen.
 
Sie treten auch mit der Appenzeller Volksmusikformation Geschwister Küng auf. Was reizt Sie daran?
In den letzten Jahren hat mich die Möglichkeit, in einer guten Formation mitzuspielen, immer mehr gelockt. Es gefällt mir wahnsinnig gut. In den arrangierten Stücken sind viele weltmusikalische Einflüsse da, es ist eine kammermusikalische Herangehensweise. Unser nächstes Großprojekt ist ein Theaterstück: „Bilder putzen. Leben und Wirken der Kapuziner im Appenzell“.
 
Sergio Azzolini hat beim letzten Konzert von Stella Matutina gesagt, man wird mit der Zeit wie das Instrument, das man spielt. Fagottisten werden melancholisch. Wie werden Kontrabassisten?
Die erste Frage ist: Welche Typen wählen welches Instrument? Kontrabassisten sind gerade im Orchester das Bindeglied zwischen Streichern und Bläsern. Sie reden mit den Geigen und trinken mit den Blechbläsern und sind der Ruhepol. Am Kontrabass kann man nicht hektisch sein.
 
Orchesterspielen ist eine sehr disziplinierte Tätigkeit. Wo finden Sie einen Ausgleich?
In der freien Improvisation. Ich mache auch wahnsinnig gern Skitouren und gehe bergsteigen. Bevor die Kinder kamen, war ich ein leidlicher Alpinist und habe auch eine Erstbegehung in den Anden gemacht. Inzwischen sind es mehr Familienwanderungen.
 
Sie haben im Film „Der Fälscher“ mitgespielt. Was war Ihre Rolle?
Am Anfang des Films gibt es eine Szene in einer Bar. Im Hintergrund ist ein Jazztrio, das eine 30er-Jahre-Nummer spielt. Wir haben nicht echt gespielt. Ich bin quasi Oscar-preisgekrönt (lacht).
 
Was ist für Sie das Besondere am SOV?
Dass man mit einem nicht permanent zusammen arbeitenden Klangkörper eine solche Qualität hinkriegt, ist alles andere als selbstverständlich. Ulrike Längle

Marcus Huemer wirkt im SOV mit sowie zurzeit in der „Fledermaus“-Produktion in Götzis. Termintipp: Oratorium-Uraufführung, 7. Dezember, Oberegg/St. Gallen.

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