Zuckerwatte und Überraschendes im Kunstforum Montafon

Alfredo Barsuglia und das Künstlerkollektiv Gelitin stellen im Kunstforum Montafon aus.
Schruns Es ist bereits ein guter alter Brauch, dass in der Winterausstellung im Kunstforum Montafon zwei Positionen aufeinandertreffen, die davor noch nie zusammen ausgestellt haben. Das noch nie Dagewesene war in diesem Jahr zunächst Alfredo Barsuglia, vor einer Woche mit dem Otto-Mauer-Preis ausgezeichnet und derzeit auch in einer Personale im Bildraum Bodensee in Bregenz zu sehen. Seine Einladung zu einer Komplizenschaft auf Zeit ging an die vier Kunstprovokateure von Gelitin, die seit fast 30 Jahren kollaborieren, früher unter dem Namen Gelatin mit ihren Aktionen für Aufsehen sorgten und 2006 auch das Kunsthaus Bregenz üppigst mit Sperrmüll und Schlamm auslegten.
Werkgruppe aus Ton
Die Gelitins, namentlich Wolfgang Gantner (1970), Ali Janka (1971), Florian Reither (1968) und Tobias Urban (1966), sind mit einer Auswahl aus ihrer Serie „New York Golems“ ins Montafon gereist. Die 2017 für eine Ausstellung in New York entstandene Werkgruppe aus Ton, deren jeweils individuell gestalteter Unterbau nicht Sockel, sondern Teil der Skulptur ist, wurde zwar von der Kunstkritikerin Caroline Goldstein als „Having Sex with Clay“ tituliert. Aber so laut und offensichtlich krachen wie auch schon, lassen es Gelitin nicht mehr. Was nicht heißt, dass Schönheit nicht ein ziemlich relativer Begriff ist, es nicht anarchisch zugeht und ihre Golems subtil wären – das nun auch wieder nicht. Golem bezeichnet eine aus Lehm geformte Figur der jüdischen Literatur und Mystik, die durch kabbalistischen Zauber lebendig wird. Um dem toten Material Leben einzuhauchen und dem Fluch der Gestaltung zu entkommen, war die gelitinsche Herangehensweise gewohnt unkonventionell – ohne dabei die Hände zu gebrauchen, respektive sich diese schmutzig machen zu müssen. Dazu war nicht nur die Lust am Arbeiten mit Ton notwendig. Denn ja, gefragt waren Körperteile unter der Gürtellinie, und nein, wir sprechen nicht von Füßen.
Neben den, in einem eigens dafür im Atelier aufgebauten „Dorf“ samt Dorfplatz, mittels Geschlechtsteil modellierten Tonklumpen, kommt für die Gebilde auch der Allerwerteste der vier Herren zum Einsatz. Enthemmt, mit „spielerischem Sublimationstrieb“ (Janka), immer hart an der Grenze des Tabus: So kennt man Gelitin.
Riechen tut man nichts. Oder vielmehr, es duftet süß und nach Vanille. Denn der wunderbare Alfredo Barsuglia (1980) zauberte in Reaktion auf das Wiener Quartett gemeinsam mit fünf Studierenden des Fachs „TransArts“ an der Angewandten einen Kubus aus Zuckerwatte auf ein Gittergestell im Raum. Rein äußerlich hat das mittlerweile stark zusammengeschmolzene und durch die Luftfeuchtigkeit ziemlich ramponierte Häufchen nichts mehr mit der luftigen Nascherei zu tun, sondern erinnert eher an Dämmwolle. Die sich täglich verändernde Skulptur, die Verwandlung der eigentlich toten Materie als Auflösung der in eine geometrische Form gepressten Zuckerwatte, spiegelt sich im Titel der Schau. „Daily Golem“ bezieht sich aber auch auf den demokratischen Entstehungsprozess, bei dem sich Barsuglia und seine Studierenden (Jakob Kirchweger, Sebastian Lehner, Alisa Omelyantseva, Luka Savic, Kai Trausenegger) gleichermaßen eingebracht haben. Und Alfredo Barsuglia wäre nicht Alfredo Barsuglia, wenn nicht noch ganz viele Bedeutungen mitschwingen würden – latent, poetisch, unübersehbar, irritierend, theatralisch. Ariane Grabher
Geöffnet im Kunstforum Montafon, Kronengasse 6, Schruns, bis 26. Jänner, Di bis Fr und So, 16 bis 18 Uhr, außer 24. und 31. Dezember.