Nostalgie und Alltag

„Ein Abend für Nolde“ war ein Abend für die Kulturlandschaft.
Dornbirn Nun ist es amtlich: Laotse war ein Schwätzer. Seine in zu vielen Spruchkalendern in beinahe unleserlicher Schrift über eine austauschbare Fotografie eines Wolkenhimmels oder Sonnenuntergangs über Wasser gedruckten Zeilen „Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr“ sind widerlegt. Dieser Umstand trug sich am Dornbirner Spielboden zu, der Anlass war „Ein Abend für Nolde“.
Seit der Eröffnung der Ausstellung „Reinhold Luger. Grafische Provokation“ im Vorarlberg Museum wird wieder viel über den kulturellen Aufbruch im Land gesprochen. Flint, Randspiele, Offenes Haus, Spielboden – Orte der Begegnung, der Innovation, des Schaffens. Die Generation, der wir die Vielfalt der heutigen kulturellen Möglichkeiten zu verdanken haben, darf sich da gerne nochmals gegenseitig und berechtigt auf die Schulter klopfen. Da Flint bereits 1971 zu Grabe getragen wurde, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Totgesagte länger leben. Das liegt nicht nur an der guten Landluft.
Der Grafiker Reinhold „Nolde“ Luger war bei der Kulturrevolution von Tag eins an dabei. Irgendjemand musste ja für den optischen Auftritt der Veränderung verantwortlich sein, und wie eine der vielen Anekdoten des Abends verriet, geschah das oft ohne Rechnung. Diese wurde nun 50 Jahre später gestellt, denn wenn Luger ruft, dann kommen sie alle. Michael Köhlmeier, Günther Sohm, Gerty Sedlmayer und auch The Gamblers.
Geschichten aus dem Nähkästchen
Durch den Abend führte Walter Fink, der wie gewohnt eloquent aus dem Nähkästchen plauderte. Er muss es ja wissen, er war dabei. Einer kleinen Geschichte über die Entstehung des Plattencovers zu der wegweisenden Dialekt-Platte „Owie lacht“ folgte dann der Auftritt von Michael Köhlmeier, der mit Verweisen auf Nostalgie und politischen Umbruch die Klassiker „Z‘Breagaz Am Bahnhof“ und „Frankfurt-Song“ vom Blatt spielte. Da stand die Zeit dann mal kurz still und ein generationsübergreifendes Gefühl bestimmte den Raum.

Komplett anders legte der Mundartgroßmeister Günther Sohm – von Fink als moralischer Fels in der Brandung tituliert – seinen Auftritt an. Anstatt in der Schublade nach verblichenen Manuskripten zu forschen, ließ er in seiner Laudatio wortgewaltig Bilder vergangener Tage entstehen, in denen die Röcke kürzer und die Haare länger wurden. Wenn man ein Foto von der Bühne aus ins Publikum gemacht hätte, dann könnte das in jedem Lexikon als Bebilderung für den Begriff „Tränen lachen“ stehen.
Unbeantwortet blieb die Frage, wann Gerty Sedlmayer das letzte Mal auf der Bühne stand. Walter Fink sprach von 20 Jahren, im Fachgespräch mit Rolf Aberer fiel auch die Zahl 28. Nichtsdestotrotz merkte man der Sängerin diese Abstinenz nicht an. Die vier interpretieren Lieder (Coverversionen der Beatles, Billie Holiday und anderen) mit Gitarrenbegleitung des großartigen Markus Holzmaier klangen frisch und relevant. Da bemühte sich sogar Luger an den Bühnenrand, um vom Beginn einer zweiten Karriere für die Ausnahmestimme zu sprechen.

Was bei der Oscarverleihung unter der Bezeichnung „In Memorian“ abgespult wird, erhielt auf der Spielboden-Bühne eine um Welten würdigere Interpretation von Dagmar Ullmann-Bautz. Gedichte von Oscar Sandner, Elisabeth Wäger-Häusle und anderen wichtigen Weggefährten wurden rezitiert.
Biografischer Spaziergang
Viele schöne Worte sind an diesem Abend gefallen. Worte der Wahrheit. Im Gespräch mit Fink erzählt Luger von der Friedhofsruhe, die er bei seiner Rückkehr nach Vorarlberg Ende der Sechzigerjahre vorgefunden hat, dass er selbst die Ausstellung im Museum wie einen Spaziergang durch die eigene wie auch die Biografie der Vorarlberger Kulturpolitik versteht. Auch wenn sich dieser Kampf gegen verkrustete Strukturen gelohnt hat, er will dafür keinesfalls heiliggesprochen werden. Die Ausstellung läuft noch bis 13. April, da kann noch viel passieren.
Für einen elektrisch verstärken Ausklang ohne großen kulturpolitischen Hintergedanken, dafür mit umso mehr Blues sorgten dann The Gamblers, die, bereits 1965 gegründet, landläufig als erste Rockband Vorarlbergs gelten. Deren Sänger Walter Batruel gab nur ein kurzes Statement ab, das er vermutlich 1968 am Rhein sitzend aufgeschnappt hat: „Lieber Gras rauchen als Heuschnupfen“. Sponti-Sprüche hatten ja damals zu Recht Hochkonjunktur. Heute sind sie ein paar Blätter hinter den Zeilen von Laotse im Spruchkalender zu finden, die dazugehörige Bebilderung erklärt sich von selbst. Auf einem der nächsten Blätter steht dann „Die Revolution frisst ihre Kinder“. Da kann man nur einen guten Appetit wünschen.