Der Doktor Frankenstein der Malerei

Erste große Retrospektive des New Yorker Künstlers Steven Parrino im deutschsprachigen Raum.
Vaduz In der Silvesternacht 2004/05 starb mit Steven Parrino (1958-2005) einer der einflussreichsten und bedeutendsten Vertreter der New Yorker Kunstszene seit den späten 1980ern bei einem Motorradunfall. Parrinos Name steht für ein komplexes, stark von der Musik geprägtes Werk, das in einer immer widersprüchlicheren Welt den Widerspruch zum Stilmittel erhebt. Das Kunstmuseum Liechtenstein, das seit der Übernahme der Sammlung Ricke 2006 über prominente Werke verfügt, widmet nun dem vorwiegend malerisch tätigen Künstler die erste große Retrospektive im deutschsprachigen Raum . „Nihilism is Love“ ist eine lebendige, packende Schau, die viel von der Dynamik und der Freiheitsliebe Parrinos erzählt, aber auch den Zeitgeist und den New Yorker Underground jener Epoche wiederauferstehen lässt.
Konservativer Ansatz
Für ihn musste es Farbe auf Leinwand sein. Seine Werke definierte er einmal in einem Interview aller Dreidimensionalität zum Trotz klar als Gemälde und seinen Ansatz als „immer noch sehr konservativ“. Eine Aussage, die angesichts der verdrehten, gewickelten, zerknautschten, zerschnittenen, am Boden zerknüllten oder mit kleineren und größeren, den Raum öffnenden Schlupf- und Gucklöchern versehenen, monochromen, abstrakten Werke staunen macht. Aber nicht von ungefähr hat sich Steven Parrino 1979 an der Akademie, just in jenem Moment, als wieder einmal ihr Tod proklamiert wurde, für die Malerei entschieden: „(…) alle sagten, die Malerei sei vorbei, Malerei sei tot. Also dachte ich, ich bin wie Dr. Frankenstein und arbeite mit Leichen.“ Später befand er, dass der Tod der Malerei nur in den Köpfen der Maler stattgefunden hatte und kein faktisches Problem war. Also startete er für sich an einem Nullpunkt, jedoch nicht ohne Referenzpunkte in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. In den frühen 80ern arbeitet sich Parrino am Schwarzen Quadrat von Malewitsch, dem absoluten Nullpunkt in der Malerei, ab und pulverisierte es zuweilen schon einmal. Auch bei Lucio Fontana nahm er Anleihen, allerdings agierte er im wörtlichen Sinn in der Arbeit „Crowbar“ noch radikaler, wenn er mit dem titelgebenden Brecheisen zu Werke geht und es auch realer Bestandteil des Gemäldes ist.
Hatte Frank Stella eine Katze?
Als liebevoll-ironischen Seitenhieb auf den Maler des Hard Edge und sein Privatleben kann man das Diptychon „Frank Stellas Cat“ lesen. Ob dieser tatsächlich eine Katze hatte, bleibt ungeklärt, aber in dieser großformatigen, zweiteiligen Arbeit aus der Reihe der „Misshaped Paintings“ kommt Parrinos typische, von ihm entwickelte ureigenste Vorgehensweise zum Tragen: die auf den Keilrahmen aufgezogene, monochrom bemalte Leinwand wird wieder abgezogen, auf verschiedene Arten verdreht und verzogen und anschliessend erneut aufgespannt. Der Künstler agiert dabei auf der Rückseite, das Ergebnis nicht kontrollierend und schaut das Bild erst an, wenn es fertig ist. Einen Minimalismus des Handelns weisen auch die zunächst aus Karton, später aus Aluminium mehrfach und unterschiedlich geknickten „Bent Paintings“ auf, während die monochrome Fläche der „Slot Paintings“ durch Löcher aufgebrochen wird.

Inhaltlich spielen das Großstadtleben mit seinen Szenen im Untergrund, Parrinos Leidenschaft und Nähe zur Musik, die Welt der Biker, aber auch Gewalt und ihre Medialisierung in die Werke hinein. Videoarbeiten, Lackarbeiten auf Papier, Collagen mit Drive und Zeichnungen mit Witz ergänzen die von Friedemann Malsch und Fabian Flückiger kuratierte Ausstellung. Der Aufbau ist nicht chronologisch, sondern thematisch. Das entspricht der künstlerischen Praxis von Steven Parrino, der an verschiedenen Werkgruppen gleichzeitig zugange war, es ergeben sich beim Rundgang zwischen den fünf Themen „Disruption“, „Bent und Slot Paintings“, „Dancing on Graves“, „Death in America“ und „Exit/Dark Matter“ aber auch immer wieder reizvolle Rückkoppelungen. Ariane Grabher
Die Ausstellung ist im Kunstmuseum Liechtenstein, Städtle 32, Vaduz, bis 17. Mai geöffnet, Di bis So 10 bis 17 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr.