Stargeiger beim Meisterkonzert

Das russische Staatsorchester und Stargeiger Nemanja Radulovic eröffneten neue Einsichten.
BREGENZ Es steckt ein unglaubliches Potenzial in der russischen Musikkultur des 20. Jahrhunderts. Das wurde wieder einmal klar beim jüngsten Meisterkonzert und dem lustvollen Eintauchen bis über beide Ohren in den geheimnisvollen Zauber, die Fülle und Vielfalt dieser Kompositionen. Das russische Staatsorchester unter dem souveränen Andrey Boreyko garantierte dabei die größtmöglich authentische Wiedergabe, der extravagante junge Geigen-Superstar Nemanja Radulovic stand für Staunen und Verblüffung.
Erfreulich, dass dabei nicht bloß viel Strapaziertes aus der russischen Konzertsaal-Hitparade rauf und runter gespielt wird. Man hat den Eindruck, dass das vollbesetzte Haus mit Interesse und Neugier gerade auch die kaum bekannten Werke als musikalische Entdeckungsreisen goutiert, bis es mit der Ballettmusik aus Strawinskys „Feuervogel“ als Knüller belohnt wird. Doch auch schon die beiden kurzen Stücke des stets etwas im Schatten stehenden Anatoli Liadov haben ihren besonderen Reiz. Im milden Des-Dur des Märchenbildes „Der verzauberte See“ von 1909 bedient er sich in den wabernden Wellenbewegungen und abgedunkelten Farben der typischen Merkmale des aufkommenden Impressionismus, in seiner Legende „Kikimora“ charakterisiert er diesen Poltergeist mit originellen musikalischen Mitteln, die an Dukas‘ „Zauberlehrling“ erinnern. Bereits hier entfaltet das Traditionsorchester seine typische satte Klangkultur und Exaktheit, zeigt größte Nähe zum smarten, bei vielen bedeutenden Orchestern gefragten russischen Dirigenten Andrey Boreyko mit seinen klar vermittelten Führungsqualitäten.
Mit Angriffslust
Ebenso wenig wie Liadov taucht im gängigen Repertoire auch das einzige Violinkonzert von Aram Chatschaturjan auf, das er 1940 für David Oistrach schrieb. Dabei ist das große Musik im besten Sinne, die klanglich und dynamisch dem Orchester und vor allem dem Solisten als Virtuosenkonzert viele effektvolle Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Der junge serbisch-französische Geiger Nemanja Radulovic, derzeit mit einem sagenhaften Ruf der erklärte neue Darling in Europas Konzertsälen, gefällt sich in seinem exaltierten Auftreten mit wilder Mähne und Boots, tritt aber mit seiner spontanen Angriffslust auch auf die größten Schwierigkeiten seines Soloparts umgehend den Wahrheitsbeweis an für seine abenteuerliche künstlerische Kompetenz. Er unterstreicht die gängige Metapher vom Teufelsgeiger noch durch sein diabolisches Lächeln, mit dem er auch die vertracktesten Passagen als Lappalien abtut, misst sich aber auch in der ruhig ausformulierten Kadenz im edlen Dialog mit der Soloklarinette und überstrahlt einfach den Abend durch sein Charisma. Das Orchester erweist sich als vielfach erprobter, glänzender Partner, der das Werk über viele sinnlich lyrische Passagen im Finale mit seinen Anklängen an den populären „Säbeltanz“ dieses Komponisten zu einem aufbrausenden Triumph trägt. Zur umjubelten Zugabe holt sich Radulovic den Solobratscher Vasily Kukharenko aus dem Orchester als Partner für ein virtuoses Variationen-Duo über eine Händel-Passacaglia.
Viel gespielt, oft gehört vermittelt das durch Igor Strawinsky zum Ballett vertonte russische Märchen „Der Feuervogel“ am Ende ein packendes, farbenreiches Klangerlebnis. Die dritte, größte Suite daraus von 1945 birgt die 13 gängigsten Teile, die sich vor dem geistigen Auge des Zuhörers als Tanzstücke verselbstständigen: die orientalisch gefärbten Motive der Hauptfigur, die Diatonik der Prinzessinnen, die unerbittliche Chromatik des Zauberers, der grenzenlose, geradezu brutale Schlussjubel über den Sieg des Guten – zeitlose musikalische Dokumente, die einem auch nach oftmaligem Hören noch unter die Haut gehen. Entspannung ist im flotten Trepak aus Tschaikowskys „Nussknacker“-Suite als Zugabe angesagt. Fritz Jurmann
Nächstes Bregenzer Meisterkonzert: 7. März, 19.30 Uhr, Festspielhaus – Real Filharmonia de Galicia, Leitung Pablo Gonzales