Als die Woche zehn Tage hatte

Es gab Zeiten mit mehr als einem Schalttag pro Jahr, und zwar auch in Vorarlberg.
Lingenau Es war am ersten Ergänzungstag des Jahres 4, also le premier jour complémentaire de l‘an IV, als es dem Inhaber des nebenan abgebildeten Passierscheins erlaubt war, von Lingenau nach Bregenz zu gelangen. In der gebräuchlichen Zeitrechnung war das der 17. September 1796 und damit verweist der Zettel auf historische Begebenheiten in Vorarlberg. Im Zuge der napoleonischen Kriege war die Region von Franzosen besetzt, die hohe Forderungen an die Bewohner stellten. Dazu zählten Bargeld, aber auch Vieh, Pferde, Lebensmittel und Kleidung. Der mit brauner Tinte auf Papier ausgestellte Passierschein in der Größe von knapp 17 Mal 24 Zentimetern ist von Nicolas-Augustin Paillard (1756-1831) unterzeichnet.
Dieser ist vom einfachen Füsilier zu einem Kommandanten der napoleonischen Armee aufgestiegen. Unter seinem Kommando drangen die Franzosen von Deutschland über Bregenz bis nach Götzis vor. „Je prends sucessivement Constance, Meersburg, Lindau et Bregenz“, ließ Paillard verlauten. Es dauerte einige Monate, bis die Franzosen in Schach gehalten werden konnten und wieder abzogen. Der Name von General Paillard ist, wie der Kunsthistoriker Tobias G. Natter erklärt, unter vielen anderen auch am Pariser Triumphbogen verewigt, den Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz im Jahr 1806 in Auftrag gegeben hatte.
Dezimalsystem
Der Passierschein selbst gelangte als kleines Zeugnis dieser Zeit in eine Vorarlberger Privatsammlung. Er dokumentiert aber auch noch viel mehr, nämlich die Umstellung der Zeitrechnung und die Einführung des Dezimalsystems, mit dem man nach der Französischen Revolution die Trennung von Religion und Staat bzw. den Geist der Vernunft verdeutlichen wollte. Während sich das Kalendersystem noch an kirchlichen Feiertagen orientierte bzw. nach dem göttlichen Gebot des siebten Tages als Ruhetag, sollte die Woche zehn Tage haben, der Tag zehn Stunden, jede Stunde 100 Minuten und so weiter. An den zwölf Monaten im Jahr hielt man fest, sie sollten nur andere Namen haben. Übrig blieben mehrere Ergänzungstage und nicht nur ein Schalttag, der uns heuer einen 29. Februar beschert, den es erst in vier Jahren wieder gibt.
Im Herbst 1792, nach der endgültigen Entmachtung von Ludwig XVI. und der Ausrufung der Republik, wurde die neue Zeitrechnung eingeführt, sie hielt sich bis zum Ende des Jahres 1805.
Bei der Bevölkerung fiel der Revolutionskalender begreiflicherweise auf wenig Gegenliebe, weil man um einige Sonntage umfiel. Dass sich Uhrmacher auf den Revolutionskalender einstellten, davon zeugen einige besonders schöne Exponate von Dezimaluhren aus dieser Zeit. VN-cd