„Wir sind nicht abhängig von Gazprom“

Helga Rabl-Stadler hat die Salzburger Festspiele ein Vierteljahrhundert mitgestaltet. 2020 ist herausfordernd.
Salzburg Es gibt starke Anzeichen dafür, dass Wladimir Putin heuer zu den Salzburger Festspielen kommt. „In politisch brisanten Zeiten können nur Kunst, Sport und Handel Brücken bilden. Ich gebe aber zu, dass das angesichts der geopolitischen Lage immer schwieriger wird“, sagt die Präsidentin.
Frau Rabl-Stadler, die Grünen fordern, Plácido Domingo soll bei den Salzburger Festspielen 2020 nicht auftreten. Wie stehen Sie dazu?
Rabl-Stadler Das ist für uns eine schwierige Situation, aber auch für mich persönlich. Als Frau nehme ich die #metoo-Bewegung doppelt ernst. Ich kenne aber Plácido Domingo seit 30 Jahren. Er hat mich nicht nur durch seine künstlerische Leistung beeindruckt, sondern durch seine menschliche Qualität. Wir haben in Salzburg nicht die geringsten Hinweise auf ein sexuelles Fehlverhalten. Vor allem – und das ist ja der größte Vorwurf – gab es auf keinen Fall eine Verlinkung zwischen Sex und Machtausübung. Intendant Markus Hinterhäuser und ich waren uns einig: „In dubio pro reo.“ Solange die Causa nicht bei Gericht sei, würden wir ihn nicht vorverurteilen. Wir sind jetzt dabei, Informationen einzuholen und zu prüfen, was sich durch seine Quasientschuldigung geändert hat.
Ein weiteres aktuelles Thema ist das Coronavirus. Wie wird das im Haus diskutiert?
Rabl-Stadler Wir haben unsere Mitarbeiter gebeten, Dienstreisen zu limitieren, sich auf der Website des Außenministeriums über Reisewarnungen zu informieren und bei Krankheit einen Arzt anzurufen. Wird es eine Epidemie oder Pandemie, müssen wir die Herausforderungen bewältigen.
Aber sie sind ein internationales Festival mit Künstlern und Besuchern aus aller Welt.
Rabl-Stadler Wir haben Besucher aus 78 Nationen, davon 40 außerhalb Europas. Man merkt: Das sind die Schattenseiten der globalisierten Welt.
Was hieße eine Absage zum 100er?
Rabl-Stadler Man muss sich nicht den Super-GAU vorstellen. Ich kann mich an keine Absagen bei den Salzburger Festspielen erinnern. Ein einziges Mal hatten wir Angst. Das war im August 2002, als die Salzach fast übergegangen wäre. Ein Gastorchester wohnte auf der anderen Salzachseite und wollte von mir eine Garantie, dass die Salzach nicht übergeht. Bin ich Gott? Eine derartige Überschätzung meiner Person wollte ich bestrafen und gab ihnen die Garantie. Dass die Salzach nicht überging, war trotzdem nicht mein verdienst.
Wie abhängig sind Sie von Besuchern aus Fernost?
Rabl-Stadler Kaum. Der Anteil an asiatischem Publikum bewegt sich im einstelligen Prozentsatzbereich. Dennoch ist unser geschäftlicher Erfolg extrem vom Kartenverkauf abhängig. Wir haben eine hohe Eigenwirtschaftlichkeit von 75 Prozent, 50 Prozent unserer Einnahmen kommen aus dem Kartenverkauf. Bei anderen Opernhäusern ist es wesentlich weniger als die Hälfte. Es ist sehr in unserem Interesse, dass möglichst viele Menschen mit uns das 100-Jahr-Jubiläum feiern.
Kommen wir zum Programm. Was liegt Ihnen im Jubiläumsjahr am meisten am Herzen?
Rabl-Stadler Ich würde zunächst einmal die „Ouverture Spirituelle“ zu Festspielbeginn empfehlen, die unter dem beziehungsvollen Titel “Pax – Frieden” steht. Wir fangen mit einer Frau an, Mirga Grazinyte-Tyla dirigiert zur Eröffnung Benjamin Brittens „War Requiem“ und geben mit diesem Stück ein klares Statement gegen den Krieg ab. Ich habe in meiner Präsidentschaft das Thema Festspiele als Friedensprojekt immer betont. Je mehr ich mich in die Geschichte vertieft habe, desto mehr fiel mir auf: Der Gründungsgedanke der Salzburger Festspiele entstand nicht, obwohl die Zeit so schlecht war, sondern weil die Zeiten so schlecht waren. Die Gründer träumten von einem Wallfahrtsort, an dem man die Gräuel des Ersten Weltkriegs vergessen kann.
Wir werden zudem vor dem Festspielhaus eine Reihe von Stolpersteinen zur Erinnerung an NS-Opfer verlegen; ein Zeichen, dass wir uns nicht vor den dunklen Seiten unserer Vergangenheit drücken.
Und Sie spielen „Boris Godunow“. Kommt Putin zur Premiere?
Rabl-Stadler Es gibt starke Anzeichen, dass Putin kommt. Im Vorjahr waren bereits viele russische Botschafter und Regierungsmitglieder bei den Salzburger Festspielen. Da hatte ich das Gefühl, dass die Stadt unter die Lupe genommen wird.
Finanziert vom russischen Ölkonzern Gazprom. Wie kam es dazu?
Rabl-Stadler Ich durfte Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Vorjahr begleiten, als er Wladimir Putin für 2020 nach Salzburg einlud. Beim Festessen fragte mich Gazprom-Chef Alexej Miller, ob wir Geld bräuchten. Da musste ich wahrheitsgemäß antworten: Ja! Die OMV sagten mir zu, sich die Sponsorsumme von 400.000 Euro mit Gazprom zu teilen. Die beiden Konzerne finanzieren Kulturprojekte in St. Petersburg und in Wien, unter anderem die Rubens-Schau im Kulturhistorischen Museum. Mich hat die Kritik am Gazprom-Sponsoring nicht überrascht, sehr wohl aber, dass die Festspiele mit einem viel härteren Maßstab gemessen werden. Wir sind nicht abhängig von Gazprom, bei einem Sponsorenanteil von zehn Millionen Euro sind 200.000 Euro ein verhältnismäßig kleiner Betrag.
Würden Sie sich freuen, wenn Putin kommt?
Rabl-Stadler Salzburg war immer gastfreundlich. Wir möchten dem Bundespräsidenten zur Seite stehen und dazu beitragen, dass seine Gäste sich bei uns wohlfühlen. Der Bundespräsident hat für die Eröffnung auch den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier eingeladen. Bundeskanzler Sebastian Kurz wird vor der Festspieleröffnung einen Wirtschaftsgipfel veranstalten. Mir ist es wichtig, dass Salzburg ein wichtiger Begegnunsort für Kunst, Politik und Wirtschaft ist.
Spießt sich Putin nicht mit dem Friedensmotto?
Rabl-Stadler In politisch brisanten Zeiten können nur Kunst, Sport und Handel Brücken bilden. Ich gebe aber zu, dass das angesichts der geopolitischen Lage immer schwieriger wird.
Die Kultur ist in neuen Händen. Wie nehmen Sie die neuen politischen Verhältnisse wahr?
Rabl-Stadler Mich haben zwei Punkte im Regierungsprogramm sehr gefreut. Zum einen die Valorisierung für die Kunst. Wenn die staatlichen Zuschüsse valorisiert würden, wäre das ein Meilenstein. Zum anderen, dass für Infrastrukturprojekte Geld fließen soll. Wir brauchen dringend Geld für die Generalsanierung des Großen Festspielhauses. Wenn das nicht klappt, leidet ganz Salzburg. Dann gibt es kein Adventsingen, keine Osterfestspiele, keine Kulturvereinigungskonzerte und keine gewinnbringenden Landestheaterproduktionen auf unseren großen Bühnen.
Wie geht es Ihnen mit den Grünen und deren Skepsis gegenüber etablierter Kultur?
Rabl-Stadler Es gibt einen wunderschönen Spruch des Kulturphilosophen Friedrich Sieburg: „Elite entsteht durch Leistung, Prominenz durch Applaus.“ Der Kreationsprozess in der Kunst ist etwas Elitäres, nichts Demokratisches. Wir, die Veranstalter, haben die Verantwortung möglichst viele Menschen den Zugang zur Kunst zu ermöglichen. Wir haben zum Beispiel das größtes Public Viewing der Welt, das habe ich erfunden.
Der frühere Kulturminister Gernot Blümel ist jetzt Finanzminister. Irgendwelche Wünsche?
Rabl-Stadler Viele. Valorisierung brauchen wir dringend und eben, dass er an unsere Häuser denkt.
Wird diese Spielzeit unwiderruflich Ihre letzte sein?
Rabl-Stadler Jetzt sind die Festspiele gefestigt mit einem Intendanten voll der künstlerischen Fantasie und einem kaufmännischen Direktor, der die finanzielle Gebarung fest in der Hand hat. Nachdem ich ein Vierteljahrhundert die Festspiele mitgestaltet habe, gibt es nichts Besseres, als mich im Jubiläumsjahr am 31. Dezember zurückzuziehen. Ich denke an meinen Vater Gerd Bacher, der hat nach seiner Zeit als ORF-Generalintendant alle folgenden Angebote abgeschlagen mit dem Satz: „Ich habe die größte Orgel des Landes gespielt, ich werde nicht Flötenspieler.“
Würde Sie die Kandidatur für die Bundespräsidentenwahl reizen?
Rabl-Stadler Nein. Aber ich würde mich freuen, wenn eine Frau drankommt. Das gibt‘s doch nicht, dass es so schwierig ist, eine Frau in so eine Position zu bringen. Ich freu mich, dass Brigitte Bierlein Bundeskanzlerin der Übergangsregierung wurde.
Ist eine Umstrukturierung des Festspieldirektoriums eine Option?
Rabl-Stadler Ich halte das Festspielgesetz für eine gute Konstruktion. Präsident und Intendant müssen aber harmonieren. Ich würde mir wünschen, dass man sich zuerst über die Rolle des Präsidenten Gedanken macht und dann die geeignete Person sucht.
Das Interview führten die Chefredakteure der Bundesländerzeitungen, für die VN Gerold Riedmann.