Ein Internettheater, das auch Fragen zur Demokratie aufwirft.
Philipp Preuss: “Die Demokratie ist ja nicht in Quarantäne”. Herold
Der Bregenzer Regisseur Philipp Preuss hat ein Internettheaterprojekt mit Kafka-Texten aufgezogen.
Leipzig, Bregenz Es ist nicht jedes Mittel recht, es gibt die Menschenrechte, die unveräußerlich sind, bemerkt Philipp Preuss zur mitunter festzuhaltenden schleichenden politischen Instrumentierung der Covid-19-Pandemie. Werde von politischer Seite nicht nur mit Fakten, sondern auch mit der Angst agiert, so sei das mit besonderer Sorgfalt zu beobachten. Nennt der österreichische Regierungsschef etwa Singapur, also einen autokratisch regierten Staat als Vorbild, so sei schon einmal klar, dass man in allen Belangen wach bleiben muss: “Um die Demokratie muss gekämpft werden, die Demokratie ist ja nicht in Quarantäne.”
Philipp Preuss, 1974 in Bregenz geboren, inszeniert vor allem an großen deutschen Bühnen, er ist Hausregisseur am Schauspiel Leipzig, hat beispielsweise am Residenztheater in München gearbeitet, am Volkstheater in Wien, an der renommierten Schaubühne in Berlin (wo seine Projekte aufgrund der großen Nachfrage über mehrere Spielzeiten im Programm blieben), und im Vorjahr engagierten ihn die Bayreuther Festspiele. Dort realisierte er ein Stück über den Dirigenten, Komponisten und Festspiel-Leiter Siegfried Wagner (1869-1930), Sohn von Richard Wagner (1813-1883). Die deutsche Geschichte, vor allem die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, war dabei ein wesentliches Thema.
Zweifel am historischen Gedächtnis
Er glaube eher nicht, dass die Menschen aus der Krise wirklich etwas lernen, beispielsweise nun umweltbewusster entscheiden. Wenn die Menschen ein historisches Gedächtnis hätten, dann hätte sich dieses ja schon gezeigt, meint der Bregenzer, der Theaterwissenschaften und Philosophie studiert hat und sich mit Literatur auseinandersetzte, die diese Aspekte beinhaltet. “Die Gefahr der politischen Instrumentierung ist da, ich hoffe aber auf die Vernunft.” Man werde nun sehen, wie weit uns die Solidarität trägt.
Wie Kafkas Irrlauf
Wie viele Theaterprojekte ist auch eines von Philipp Preuss nun wegen der Pandemie ad acta gelegt worden. Franz Kafkas “Schloss” stand auf dem Spielplan des Schauspiels Leipzig, dessen Türen nun auf Wochen hinaus versperrt sind. Preuss ließ sich nicht einfach ins Homeoffice schicken, dachte auch an die Schauspieler, für die die Aufträge wegbrechen, klappte alle Unterlagen mit dem bereits erarbeiteten Regiekonzept erst einmal zu und entwickelte ein neues Projekt anhand jener wenigen Chancen, die ihm als Künstler nun offen stehen. “Auf Videokonferenzplattformen tummeln sich nun Heimarbeiter, Partygänger, isolierte Existenzen auf der Suche nach einer Struktur, immer wieder unterbrochen durch Verbindungsschwankungen, Bildstörung, kommunikatives Stottern”, heißt es in einer Mitteilung des Theaters. Wenn das nicht an Kafka erinnert. Auch der Protagonist in seinem Roman „Schloss“ suche in einem Dorf nach Zugängen, Wegen, Netzknoten und Verbindungen zu den Bewohnern. Kafkas Irrlauf durch die Welt des Schlosses werde zu einer surrealen Parabel auf die neu entstandene hermetische Welt der Isolation. Vor wenigen Tagen wurde dieses Theaterprojekt gestartet.
„Die Gefahr der politischen Instrumentalisierung ist da, ich hoffe aber auf die Vernunft.“
Philipp Preuss, Regisseur
Die Erläuterung von Philipp Preuss lässt sich so zusammenfassen: Vergleichbar mit einer Zoom-Konferenz, geht jeder der an verschiedenen Orten sitzenden Schauspieler in den Text, durch das Hinzu- und Wegklicken entstehen die Schnitte, die Hintergründe kann man austauschen, womit ein Bild entsteht und dazu kommt noch die Musik. Die Besucher erhalten einen Link, sind somit live dabei, ein Chat ist grundsätzlich möglich. “Damit wird man das Theater niemals ersetzen können” betont Preuss, und die alltägliche Herumchatterei sei für die Kunst sowieso nicht relevant. Mit dem Konzept schöpfe er nur die Möglichkeiten eines nun nutzbaren Formates aus.
Der Begriff Quarantäne
Die Dauer der Aufführung ist mit 40 Minuten im Übrigen nicht den Zoom-Mechanismen oder dem Zufall geschuldet. Als in Venedig im 14. Jahrhundert die Pest wütete, wurden die Schiffe in Quarantäne gestellt, das heißt, sie mussten 40 Tage warten, bis sie einlaufen und Waren abliefern konnten. Das Ende in Kafkas Roman ist ein offenes.
Das Internettheaterprojekt von Philipp Preuss wird am 11. April fortgesetzt. Anmeldungen können bis zum Sendetag erfolgen: www.schauspiel-leipzig de
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.