Als der Bodensee noch als Waschzuber diente

Kultur / 25.07.2020 • 14:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Als der Bodensee noch als Waschzuber diente
Stadtarchivar Thomas Klagian hat für die Ausstellung im Martinsturm das Archiv geöffnet. VN/PAULITSCH

Die Frage „Kann denn Baden Sünde sein?“ wird im Martinsturm unterhaltsam mit Nein beantwortet.

Bregenz In den See, um sich zu waschen? Was heutzutage bestenfalls als Notlösung durchgeht, war in den Badeanstalten am Bodensee einst gängige Praxis. Mit „Kann denn Baden Sünde sein?“ ist eine Ausstellung betitelt, die die Badekultur in der Vergangenheit, vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert vermittelt. Am Ort der Schau ist keine Begegnung mit dem nassen Element zu erwarten, allerdings bietet er einen prachtvollen Blick über den See. Stadtarchivar Thomas Klagian steht seit einigen Jahren nämlich der Martinsturm in der Oberstadt für die Aufbereitung informativ-unterhaltsamer Projekte zur Verfügung.

Auch wenn es im alten Gemäuer nicht viel mehr als Fotografien, Dokumente und zumindest einige Beispiele damaliger Bekleidung zu sehen gibt, lohnt sich der Weg hinauf. Eine kleine Auszeit vom Alltag hatten sich vor Jahrhunderten schon jene Menschen gegönnt, denen der See nicht nur Angst einflößte, sondern die den Sprung hinein als Befreiung erlebten.

Empörte Spanner

Abends war man vor Blicken sicherer, aber freilich wurde das Treiben nicht goutiert. Besorgt waren die Ordnungshüter weniger wegen der Unfallgefahr, sondern weil sich die Wagemutigen ihrer Kleider entledigten. Blieben die Männer unter sich, mochte das noch angehen, doch wenn Frauen dabei waren, rief das die Sittenwächter auf den Plan. Die zugänglichen Abschnitte am Bodenseeufer wurden schließlich streng nach jenen für Männer und jenen für Frauen unterteilt, selbst an der Bregenzer Ach war das gemeinsame Baden untersagt. Störend wurde auch empfunden, wenn der Weg dorthin mit eher wenig Kleidung unternommen wurde. Dokumenten und Presseberichten ist zu entnehmen, dass Reisende in den vorbeifahrenden Zügen das Treiben am Ufer entsetzte. Wer meint, beim Anblick nackter Haut Schaden zu erleiden, der brauchte ja nicht hinzusehen, würde man meinen. Jedenfalls wird damit der reizvolle Titel dieser Ausstellung plausibel.

Pfahlbauten am Ufer

Wer heutzutage von Lochau nach Bregenz reist, blickt auf ein modernes Badehaus im See, das zu einem Hotel gehört und auf zwei altertümliche Pfahlbauten. Die kleinere Anlage ist im Privatbesitz, die größere ist das ehemalige Militärbad. 1825 errichtet, ist es, so Klagian, die älteste Badeanstalt dieser Art am Bodensee. Hier sollten die Soldaten einst im Schwimmen unterwiesen werden. Später konnten dort auch Zivilpersonen lernen, wie sie sich über Wasser halten können, man bot regelrecht Schwimmkurse an, ab 1916 auch für Frauen. Das Militärbad, die „Mili“, ist nach wie vor in Betrieb. Für Nichtbregenzer hören sich die Geschichten an, als handle es sich bei den Nutzern um den inneren Kern einer Stadtteilgemeinschaft.

Die eigentliche Städtische Badeanstalt, die nach der Zerstörung des nur Männern zugänglichen Dezelbades durch einen Sturm im Jahr 1890 errichtet wurde, war wesentlich größer. Sie diente in erster Linie den anfangs erwähnten Waschzwecken. In Kabinen entledigte man sich der Kleidung. Die „ansehnlichen“ Zimmer für Knaben und Mädchen, die Duschen und Bedienstetenzimmer riefen beim Berichterstatter der Landeszeitung Begeisterung hervor, vom „Stolz unserer Stadt“ und „Zeugnis kräftigen Emporringens“ ist die Rede. Schwimmen musste man nicht können, die Badenden waren in Körben gesichert und die Badezeit betrug eine halbe Stunde. Wer sich auch noch sonnen wollte, hatte einen höheren Eintrittspreis zu entrichten.

Erkämpftes Familienbad

Von sportlicher Betätigung konnte somit noch nicht die Rede sein. Erst einmal musste das gemeinsame Baden von Frauen und Männern erkämpft werden. Dass es die ersten Touristen forderten, war letztlich auschlaggebend. Anfang der 1930er-Jahre errichtete man ein kleines Familienbad, wenige Jahre später dann ein Strandbad das, wie auf den Bildern ersichtlich, einige Annehmlichkeiten bot. Die Städtische Badeanstalt auf Pfählen hatte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ausgedient, dafür wurde das Strandbad erweitert. Alte Luftaufnahmen zeigen die unmittelbare Lage neben der ersten Seebühne. Man hätte fast hinüberschwimmen können. Die Neugestaltung der Außenanlage und der Bau eines Hallenbades liegt erst wenige Jahrzehnte zurück. Das Festspielhaus gab es damals auch noch nicht lange. Dort wird es heuer erstmals ruhiger sein. Eine Pandemie beeinträchtigt die Freizeitgestaltung und das Sommergefühl. Es bleiben die Bilder. Von alten Seeaufführungen und den Badenden. Wobei die Stadt, nicht die Verantwortlichen im Archiv, eine Chance verpasst hat. Ein derartiges Projekt ruft gerade nach Beteiligung der Bevölkerung bzw. nach dem Aufruf, in den Familienalben zu stöbern. Ein Großteil der Bregenzer gestaltete in der warmen Jahreszeit den Alltag so, dass der Sprung ins kühlende Nass dazugehörte. Da gibt es viele weitere Geschichten zu erzählen. Der Besuch der Ausstellung „Kann denn Baden Sünde sein?“ wird jedenfalls mit Sicherheit dazu anregen.

Geöffnet bis 31. Oktober, Di bis So, 10 bis 18 Uhr, im Martinsturm in der Bregenzer Oberstadt.

Bregenzer Seeufer im Jahr 1902. <span class="copyright">Stadtarchiv</span>
Bregenzer Seeufer im Jahr 1902. Stadtarchiv
Strandbad in den 1930er-Jahren.<span class="copyright">Stadtarchiv</span>
Strandbad in den 1930er-Jahren.Stadtarchiv
Städtische Badeanstalt im Jahr 1900. <span class="copyright">Stadtarchiv</span>
Städtische Badeanstalt im Jahr 1900. Stadtarchiv

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