„Cluster“ kann auch Musik bedeuten

Der Wiener Concert-Verein ist in einem „Zeitklang“-Konzert dem Virus auf der Spur.
BREGENZ Der in der Bekämpfung der Pandemie heute gängige Begriff „Cluster“ für eine Ansammlung von Infektionen ist auch in der Neuen Musik üblich, als Bezeichnung für das Spiel meist mit Unterarm oder Hand auf Klavier- und Orgeltasten. Diese „Tontrauben“ ergeben natürlich keine „schönen“, sondern raue Klänge, wie sie die Röthner Komponistin Gerda Poppa in ihrem Trio „Happy ending“ von 2010 zum Ausdruck des Schmerzes über den Unfall ihres Sohnes machte. Werner Pirchner dagegen hat „Mit FaGottes Hilfe“ gleich den Allerhöchsten um Beistand angerufen. Berührende und amüsante Bezüge zur Coronakrise, die man im ersten von zwei „Zeitklang“-Konzerten mit dem Wiener Concert-Verein im Vorarlberg Museum entdeckte.
Niemand hatte geglaubt, dass die traditionellen sommerlichen „Zeitklang“-Konzerte mit Neuer Musik auch aus Vorarlberg heuer stattfinden würden, nachdem mit Absage der Festspiele auch die Symphoniker zuhause blieben, aus deren Reihen sich das auf Zeitgenössisches spezialisierte Kammerensemble Wiener Concert-Verein als gemeinnütziger Verein rekrutiert. Doch da war die emotionale Bindung der Musiker zum Veranstalter, zum heimischen Publikum und nicht zuletzt zu unseren Komponisten stärker, und sie fuhren und fahren nun eigens dieser Konzerte wegen ins Ländle. Ein Verlustgeschäft, das sie der Sache wegen gerne in Kauf nehmen. So ist denn auch der Saal so gut gefüllt, wie Corona es eben erlaubt, die Stimmung gleicht von Anfang an einer Hausmusik vor Freunden, wozu nicht zuletzt die entspannte Moderation von Manfred Welte beiträgt, der mit den Komponisten auch das Wesen ihrer Musik erläutert.
Unglaubliche Vielfalt
In einem Anflug von Galgenhumor hat man das Programm mit „Musica in tempore coronae“, also „Musik in Coronazeiten“, überschrieben. Und da entfaltet sich trotz der instrumentalen Beschränkung auf maximal ein Trio in diesen sieben Werken eine unglaubliche Vielfalt an oft durchaus tonalen, harmonischen Klängen, Ideen, Formen und Farben, die diese Zufallsauswahl Neuer Musik aus Österreich, zwei Werke davon aus Vorarlberg, ins beste Licht rücken. Die einzige Uraufführung steht am Beginn, „23 Minutes of Rain“, in der Maria Salamon die Tristesse eines verregneten Abends in Amsterdam in Töne gekleidet hat. Ein gefälliges, jazznahes Stück, das die profunde Geigerin Jacqueline Roscheck und Ines Schüttengruber, die am Klavier überlegen das größte Pensum des Abends bewältigt, subtil nachempfinden. Experimenteller gibt sich der in Wien lebende Rankweiler Michael Amann, ein Neffe von Urgestein Gerold Amann aus Schlins, in seinem bereits 1980 entstandenen Stück „La raya voladora“ („Der fliegende Rochen“). Robert Gillinger spielt auf seinem Fagott reizvoll mit Obertönen, operiert virtuos mit Blas- und Klappengeräuschen und Echowirkungen im offenen Flügel.
Eine reichhaltige Spielwiese für koboldhafte Kapriolen findet Gillinger auch im grenzgenialen Werk „Mit FaGottes Hilfe“ des 2001 verstorbenen Tiroler Originals Werner Pirchner, das zu dessen 80. Geburtstag erklingt. Dabei wird das Instrument trickreich als Fernrohr und zu anderen Dingen zweckentfremdet, auch die Zuhörer werden zu einem Bordun-Summton verdonnert. Zwei Klavierstücke mit Ines Schüttengruber rahmen dieses Werk ein: „Vier Preludes“ von Leo Brauneis, in ihrer klanglichen Schlichtheit und Klarheit hörbar vom Vorbild Arvo Pärt geprägt, und „Drei Impromptus“ des namhaften Wolfram Wagner, technisch anspruchsvolle, nur scheinbar leicht hingeworfene, jazznahe Klavierbilder. Das melodiöse Intermezzo „Oblivion“ von Philipp Manuel Gutmann für Fagott und Klavier leitet über zum erwähnten „Happy ending“ von Gerda Poppa, ergänzt durch Katharina Plankensteiner, Viola. Das gefühlsstark geprägte Werk hinterlässt in seiner dramatischen und am Ende tröstlichen Aussage starken Eindruck bei den Zuhörern. Fritz Jurmann
31. Juli, 19.30 Uhr, KUB: „Das Pfeifen der Gräser“, Ensemble plus, 4. August, 19.30 Uhr, Vorarlberg Museum: Zeitklang II