Warum ein tolles Briefprojekt ganz ohne Postgeheimnis läuft

Kultur / 07.09.2020 • 17:15 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Warum ein tolles Briefprojekt ganz ohne Postgeheimnis läuft
Christoph Linher und Roberta Dapunkt bei der Lesung aus ihrem Briefwechsel in Hohenems. VN/CD

14 Autoren aus verschiedenen Ländern realisierten ein einzigartiges, literarisches Briefprojekt.

Hohenems „Ich neige gewöhnlich zu Zuversicht, diesen Brief jedoch beende ich in einem Gefühl tiefen Scheiterns“, schreibt die italienische, aus dem Gadertal stammende Schriftstellerin Roberta Dapunt an ihren Vorarlberger Kollegen Christoph Linher. Kurz vor dem Abschicken des Briefes erfuhr sie von einem weiteren Schiffsunglück, bei dem Dutzende Flüchtlinge ums Leben gekommen sind. Zuvor noch schreibt sie von den Veränderungen in der Wertehierarchie während der Pandemie: „Und zwar, dass wir die Fähigkeit besitzen, die obsessive Nabelschau der sogenannten ,Werte‘ zu überwinden – eine Geisteshaltung, die einem Gegenüber sofort das Schutzschild zeigt, sich abschottet und damit jede Chance auf Veränderung und Wandel verhindert.“ Es sei etwas im Begriff, sich zu verändern, schreibt ihr Linher darauf: „Zudem kann ich nicht sagen, ob wir die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit unserer Wertehierarchie in jenem Später, von dem wir jetzt nicht mehr wissen, als dass es einmal sein wird, noch als solche erkennen werden.“

Roberta Dapunt und Christoph Linher, die beide auch die Politik des jeweiligen Landes in den Fokus stellen („eine Partei, die keine Skrupel hat, zum Machtgewinn eine Koalition mit den Rechtsrechten einzugehen“, heißt es bei Linher, „kein Grund rechtfertigt Autokratie“ bei Dapunt) sind Teilnehmer am Projekt „Cara Roberta“, bei dem weiters Yannic Han Biao Federer und Verena Roßbacher, Gabriele Bösch und Peter Gilgen, Marjana Gaponenko und Christian Futscher, Antonie Schneider und Hansjörg Quaderer, Barbara Ladurner und Paolo Crazy Carnevale sowie Dragica Rajčić und Julia Weber brieflich miteinander in Kontakt standen. Mitunter mithilfe von Übersetzern. Initiiert von Frauke Kühn, Geschäftsführerin des Literaturhauses Vorarlberg, wurde es im Frühjahr dieses Jahres gestartet, als Veranstaltungen abgesagt und Ausgehverbote zur Eindämmung der Covid19-Pandemie verordnet wurden. Als Kooperationspartner hatten sich das Literaturhaus Liechtenstein, die Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung und das Literaturhaus Wyborada in St. Gallen angeschlossen.

Die Villa Franziska und Iwan Rosenthal in Hohenems ist Sitz des Vorarlberger Literaturhauses und soll in knapp zwei Jahren Besuchern uneingeschränkt zugänglich sein.  <span class="copyright">VN/RP</span>
Die Villa Franziska und Iwan Rosenthal in Hohenems ist Sitz des Vorarlberger Literaturhauses und soll in knapp zwei Jahren Besuchern uneingeschränkt zugänglich sein.  VN/RP

Ein Du an der Seite

Insgesamt 14 Briefschreiberinnen und -schreiber standen miteinander im Dialog. Veröffentlichungen sind angedacht. Die erste Lesung aus den Briefen fand am Samstagabend in Hohenems statt, musste nur aufgrund der unsicheren Witterung vom Park des Literaturhauses, der noch zu renovierenden Villa Franziska und Iwan Rosenthal, in den Rittersaal des Renaissancepalastes verlegt werden. „Neben all den Tagebuchstimmen, die derzeit das Internet beherrschen und die Literaturlandschaft prägen, gibt dieses Format dem Dialog einen Raum und stellt den Betrachtungen der aktuellen Situation ein Du zur Seite, das eine Reaktion erfordert“, erklärt Frauke Kühn. „Dwarf heißt Zwerg und brief heißt kurz“, schreibt Christian Futscher an Marjana Gaponenko. Die ukrainische Autorin „brütet“ über einem Parfümroman, der Vorarlberger verrät einiges höchst Erheiterndes über den Spaß, den er einst als Stadtheurigenwirt hatte und dass er eine Fliege namens Fritz tagelang zu seinem Freund erkor.

Die nächste Ausgabe der Vorarlberger Literaturzeitschrift miromente ist dem Briefwechsel gewidmet. Die meisten Briefe sind auch auf www.literatur.ist nachzulesen.

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