Evelyn Fink-Mennel: „Singen ist ein intuitiv menschenbildendes Instrument“

Die Dozentin am Konservatorium engagiert sich mit Erfolg gegen Vorurteile in ihrer Arbeit.
SCHWARZENBERG In ihrer schillernden Vielfalt als Multi-Talent ist Evelyn Fink-Mennel tatsächlich schwer zu übertreffen: eine leidenschaftliche Volkskundlerin, die selber als urige Volksmusikantin im Land zum Aushängeschild einer gelebten und erneuerten Tradition ohne Wenn und Aber geworden ist.
Welches Ihrer zwei Gesichter schaut Sie an, wenn Sie in den Spiegel blicken – die gestrenge Wissenschaftlerin oder die jodelnde Geigerin?
Zu Beginn des Lockdowns war ich vor allem die Wissenschaftlerin. Alles Musikalische konnte nicht mehr stattfinden, und es gab für mich auf einmal ganz viel Zeit zum Schreiben von Dingen, die Zeit benötigen, also Publikationen vorbereiten, z. B. die Notenedition zur Sammlung Strolz, die Ende Jahres erscheinen soll.
Dann kam das andere Extrem, eine Ihrer berühmten Aktionen wie der Alpsegen, den Sie aus dem Euterballon über der Bregenzer Bucht gesungen haben?
Diese Aktion war stark in der Musik-Anthropologie verankert, die die Bedeutung von Musik im Alltag sucht. Der Alpsegen gehört im alemannischen Raum ureigen zur Landwirtschaft, dessen weißes Gold bekanntlich aus dem Kuheuter kommt. Er wird allabendlich auf den Alpen durch einen Melktrichter geschrien zur Abwehr des Bösen von Haus und Feld. Wenn man mich fragt, der Alltagsmusik an solch ungewöhnlichen Orten wie im Umfeld der Bregenzer Seebühne ein Gesicht zu geben, dann mache ich das einfach.
Der Begriff Volksmusikforschung, die Sie als Dozentin am Konservatorium ausüben, hat so einen sperrigen wissenschaftlichen Anstrich. Wie sieht die Praxis aus?
Ich sehe Forschung stets als angewandt, als Grundlage für die Praxis mit Rückkoppelung in die Gesellschaft. Wenn wir auf Feldforschung gehen, ist das Wissenschaftliche dabei nicht, dass wir einfach nur dokumentieren und aufschreiben, sondern Lokalgeschichte mit überregionalen Entwicklungen in einen Zeitkontext stellen. Volksmusikforschung ist stets gesellschaftspolitisch relevant. Im Projekt www.migraton.at haben wir die Geschichte der Zuwanderung für Vorarlberg in Tönen kommentiert. Ich höre und lerne respektvoll von fremden Kulturen, weil unsere „eigene“ Volkskultur wesentliche Innovationen auch aus der Aneignung fremder Elemente erfahren hat. Forschung deckt solcherart Dinge auf, das macht sie spannend und zukunftsweisend.
Sie leiten mehrere Gruppen mit musizierenden Jugendlichen. Wie begeistert man die Jugend für die Volksmusik?
Das ist mit auch eine Altersfrage. Kleine Kinder oder Teenager kann man mit einem normalen, lässigen Zugang für die Volksmusik gewinnen. Sie haben keinerlei Berührungsängste. Die Älteren muss man teilweise zuerst davon überzeugen, dass wir nicht von Vorgestern sind. Da helfen dann vielkulturelle musikalische Anschlüsse, von denen es einige zwischen Vorarlberger Liedern mit anderssprachigen Kulturen gibt. Am populärsten ist da wohl das „Wälderbähnle“ und das spanischsprachige „Un elefante“.
Sie haben früher viel mit dem Komponisten Gerold Amann zusammengearbeitet, der in seinen Kompositionen oft auf Naturlaute zurückgreift. Fühlen Sie sich mit ihm seelenverwandt?
Ja, ihn kennenzulernen war ein großes Glück. Er ist ein großes Vorbild und ein Inspirator für mich, allein diese Hinführung zu Konzepten des „Umweltschalls“ mit Vogelstimmen oder Affengesängen. Wir haben für November ein aktuelles Projekt für die Montforter Zwischentöne geplant, wo wir an der „Echowand“ in Sonntag-Stein mit dem natürlichen Echo dieser Wand mehrstimmig musizieren werden.
Sie geben auch Kurse im Jodeln – könnten Sie mir das auch beibringen?
(lacht) Ja, klar, denn das kann jeder lernen. Für das Jodeln braucht man einzig Entdeckungslust an den Möglichkeiten der Naturstimme, die jeder in sich trägt. Ich unterrichte Jodeln als Fach ab Herbst an der MS Lustenau – ein Novum in Österreich! „Singen mit Kindern“ ist ein bildungspolitisch wichtiges Thema. Mein Ansatz ist, dass alles, was in die Gesellschaft, die Breite wirken will, mutig verankert gehört in die Lehrpläne der Pflichtschulen und Lehrerausbildung. Singen ist kein Spezialfach von Musiklehrenden, sondern ist eine Kulturtechnik, ist ein intuitiv menschenbildendes Instrument.
Geben Sie uns noch einen Einblick in Ihre eigenen musikalischen Anfänge?
Als siebenjähriges Mädchen wollte ich unbedingt Geige lernen, weil mich das Instrument, das ich von den sonntäglichen Orchestermatineen im Fernsehen kannte, faszinierte. Dass ich dann als Volksschülerin mit den Wiener Streichersolisten, die damals jährlich in Andelsbuch konzertierten, die Chor-Orchestermesse spielen durfte, hat mich wohl lebenslang, bis hin zu einem Klassikstudium, beflügelt. Die Kirchenmusik, die wir früher viel an der Musikschule Bregenzerwald gepflegt haben, gehört bis heute zu meinen Lieblingsmusiken. Sowieso gibt es keine Volksmusik ohne Kunstmusik (oder umgekehrt), die Volksmusik ist – bildlich gesprochen – einfach die kleine Schwester der Kunstmusik, aber bereits mit allen Empfindungen und Ausdruckregistern ausgestattet. Darum können nicht nur alte Bregenzerwälder Geigentänze so gut mit Telemanns Konzert für vier Violinen …
Fritz Jurmann
Veranstaltungen mit Evelyn Fink-Mennel: „Mit-Tanzen“ mit Livemusik: 2.
Oktober, 19 Uhr, Hotel „Jägeralpe“, Warth; 6. November, 19 Uhr, Gasthof „Der Löwe“, Bludenz
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