Mittagstisch oder die Kraft des Theaters
Wiens Theaterleben zeigt trotz Coronakrise kräftige Lebenszeichen. Allen voran die Josefstadt, die unter Direktor Föttinger dabei ist ihr Image als „beste Schnarchstätte Wiens“ abzulegen. Föttinger hat sich in den ersten Monaten des Lockdowns als engagierter Kämpfer für die von der Krise existentiell betroffenen Kulturbetriebe ausgewiesen. Mit seiner Kritik (er variierte einen Satz der deutschen Kanzlerin Merkel und nannte diese „Bundesregierung eine Zumutung für die österreichische Kulturnation“) an der Planlosigkeit der türkis-grünen Regierung im arg beschädigten Kulturbereich weckte er endlich ein Problembewusstsein, welches mit dem Rücktritt der Kulturstaatssekretärin für einen neuen Anfang sorgte.
Mit Turrinís Premiere von „ Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ und der Einladung des Theaterberserkers Claus Peymann das alte Theaterschlachtross „ Der deutsche Mittagstisch“ von Thomas Bernhard zu inszenieren (die VN berichtete bereits) setzte die Josefstadt ein kraftvolles Zeichen für die Lebendigkeit und gesellschaftliche Relevanz von Theater gerade in Coronazeiten.
„Durchlauferhitzer mit dem Flair von Kunstwellnessanstalten werden in Zukunft wohl ausgedient haben.“
Peymanns Inszenierung ist auch eine Kampfansage gegen die Herabwürdigung und Diffamierung des Theaters in Zeiten unsolidarischer Verteilungskämpfe. So machte sich der Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder (Selbstbezeichnung : „Generaldirektor eines Weltmuseums“), wieder einmal wichtig und sprach in beispielloser Unfairness dem Theater in Coronazeiten salopp seine Lebensberechtigung ab: „Wir werden die Zeit auch ohne das Lebensmittel Theater überleben.“ Er vergaß, dass die Albertina auch keine Outdoor-Veranstaltung ohne Aerosol-Gefahren ist. Seine unkollegialen Aussagen kommentierte Bogdan Rosic, der neue Staatsopernchef, in einer gepfefferten Polemik. Er nannte Schröders Einlassungen „Meinungsmüll“ und warf ihm „Ahnungslosigkeit, Hybris und Größenwahn“ vor. Zugleich spottete er über den Besserwisser, der der Politik vorwarf, sie hätte die Pandemie schon vor Jahren vorhersehen müssen. Leider habe Schröder nicht Biochemie studiert, dann könnte er sie jetzt im Alleingang stoppen sowie den Nahost-Frieden wiederherstellen.
Vielleicht zeigt gerade die Coronakrise auf, dass die Zeiten der Ausrichtung von Museen als Besucher maximierende Tourismusmaschinen mit ewig einfallslosen Blockbustern von Klimt bis Schiele und von Schiele bis Klimt und einer permanenten, auch räumlichen Wachstumspolitik Schnee von gestern sind und deren Protagonisten kulturpolitische Auslaufmodelle. Wenn die Josefstadt die Krise nutzt, um dem Theater auch als moralische Anstalt neues Leben einhauchen, sollten auch Museumsdirektoren darüber nachdenken, was ein Museum heute leisten kann. Durchlauferhitzer mit dem Flair von Kunstwellnessanstalten werden in Zukunft wohl ausgedient haben. All jenen, die für die Zukunft der Kunst in Solidarität auf die Barrikaden steigen und mit Engagement beweisen, was Kulturinstitutionen leisten können, nämlich für die Gesellschaft existentielle Orte des Weltverständnisses und der Weltkritik zu sein, ein großes Bravo.
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.
Kommentar