Eintreten, hier leuchtet die Ampel grün

Knebl und Scheirl machen das Kunsthaus Bregenz mit vielschichtigen Arbeiten zur niederschwelligen Bühne.
Bregenz Ausgerechnet in einer Zeit, in der uns die Theaterspielpläne an sich die Möglichkeit eröffnen, uns hemmungslos wegzuträumen, in der Märchen aufgeführt werden oder in der das Erzählen wieder großgeschrieben wird, sind alle Bühnen geschlossen. Dass es so kommt, dürfte Thomas D. Trummer, Direktor des Kunsthaus Bregenz, nicht geahnt, sondern wenn, dann nach dem Frühjahrslockdown befürchtet haben, jedenfalls lud er Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl an den Bodensee, damit sie bei verhältnismäßig kurzer Vorlaufzeit den mehrstöckigen Glasbau bespielen, und landete damit einen Coup. Ein Glück, dass die beiden Künstlerinnen, die bereits als Vertreterinnen Österreichs bei der nächsten Biennale in Venedig bestimmt sind, vor einer solchen Herausforderung nicht zurückschreckten. „Seasonal Greetings“ heißt deren Inszenierung, die nun, wenige Tage nach der Wiederöffnung der Museen gestartet werden kann, so intellektuell wie spielerisch erfahrbar ist, sich in einen weit gefassten Kunstkontext einordnen lässt und zudem überraschenderweise für die entgangenen Bühnenerlebnisse etwas entschädigt. Sie setze auch auf Niederschwelliges, meint Jakob Lena Knebl. „Ich möchte Menschen begeistern, sie dürfen auch Spaß haben, so lassen sich politische Themen mittransportieren“, erklärt sie im Gespräch mit den VN, das inmitten einer Installation stattfindet, in der auf Eisschollen farblich entsprechende Polstermöbel postiert sind, die ins Bodenlose zu kippen drohen.
Unverfrorenheit
Es ist eine frostige Atmosphäre, die da an das Bild „Das Eismeer“ von Caspar David Friedrich erinnert, das, um 1823 entstanden, mit einem gekenterten Schiff auf politische und soziale Veränderungen verweist, die für den Maler bzw. die Menschen alles andere als günstig waren. Ja, Empathie vermisse sie, meint Knebl auf die entsprechende Frage, vor allem aber schmerze es sie, dass spontane menschliche Begegnungen nun aufgrund der Pandemie ausgeschlossen sind. Ashley Hans Scheirl greift die Frage auf und kritisiert die Unverfrorenheit gegenüber Notleidenden, die sich bei Politikern – auch österreichischen – nun noch stärker zeige. Zwischen den Eisplatten aus bläulichem und gläsernem Kaschurmaterial lassen sich Luster entdecken, die den Besuchern in diesem zudem von Spiegeln umgebenen und von einer Soundinstallation aufgewerteten Environment als Relikte biederer Einrichtungen erscheinen mögen, die Fantasiebegabte an Schneeflocken erinnern oder gar an etwas Unheimliches und den Designkennern eine zeitliche Einordnung zwischen den 1950er-Jahren und dem Millennium ermöglichen. Der Eindruck wiederholt sich im Übrigen in weiteren Stockwerken, denn die High-und-Low-Diskussion in der Kunst ist auf jeden Fall einer der Faktoren, die in diesen vielschichtigen Arbeiten zu Tage treten. Gemeint ist damit der Aspekt des Trivialen in der Kunst, der bei Vertretern deutlich wird, die etwa vom Design oder von der Werbung kommen – man denke nur an Andy Warhol –, und der bei Scheirl wie bei Knebl humorvoll locker miteinfließt. Die Hexenszenerie im zweiten Stock, den die Künstlerinnen gemeinsam gestalteten, leuchtet im Übrigen nicht mehr eisblau, sondern tiefgrün auch in den Außenraum. Das Hexenthema habe sie seit der Kindheit beschäftigt, verrät Knebl, das Geheimnisvolle habe für sie auch immer etwas Tröstliches. Scheirls persönliches Interesse bezieht sich auch auf die Tatsache, dass die Hexe ein tolles Vorbild für Alternde ist, weil deren Interesse am Ausprobieren von Dingen nicht erlischt.
Kraft der Kunst
Stoffmuster, Hutformen, die früher mit Ausgrenzung einhergingen, die abstrahierten Bäume, Trolle oder das Modell des Hexenmahnmals des KUB-Architekten Peter Zumthor und der Künstlerin Louise Bourgeois deuten auf das Märchenhafte wie auf das Grauenhafte im Zusammenhang mit Verfolgungen und Hinrichtungen und lassen erkennen, dass Knebl und Scheirl auf die Kraft der Kunst vertrauen und sie nicht einfach als Vermittlerin ihrer gesellschaftspolitischen Botschaft verwenden. Neben Mike Kelley, der etwa mit Plüschtieren und Flohmarktkitsch arbeitete, oder Cindy Sherman, bei der die Hexe ebenfalls eine Rolle spielt, bezieht Jakob Lena Knebl mit einer Figur aus der Kinderliteratur und mit Designobjekten, die sie nachgearbeitet in einem riesigen Setzkasten präsentiert, eine starke Position. Kunst passiere, wenn Menschen durch die Ausstellung gehen, meint sie, während man die Strumpfblumen vor Augen hat, die einst als Bastelei galten und deren Ästhetik ebenso einnimmt wie die Architektur des Brutalismus, die sie in ihrer Installation zur Wirkung bringt.
Bei Scheirl ist es dann vollends die Frage nach der Identität, nach dem, was uns ausmacht, die sie stellt, wenn sie Körperteile – frei interpretierend gezeichnet – schweben lässt, um im Gegensatz zu Leonardo da Vincis Uomo universale für Vielfalt zu plädieren.
Und was kommt angesichts dieses großen, wunderbaren Projekts für Bregenz in Venedig? Die Überarbeitung der Biennale-Einreichung dürfte kein Problem darstellen, betont Knebl doch, dass ihr spontanes Reagieren durchaus entspricht.
„Kunst passiert im Grunde dort, wo die Besucher durch eine Ausstellung gehen.“
„Die Fragen, wer wir sind und was uns ausmacht, sind aktueller denn je.“




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Zur Person
Jakob Lena Knebl
Geboren 1970 in Baden als Martina Egger, die sich die Vornamen der Großeltern mit dem Zusatz Knebl gab
Ausbildung und Tätigkeit Akademie der bildenden Künste, Universität der angewandten Kunst in Wien; Senior Artist an der Akademie der bildenden Künste in Wien
Ausstellungen Museum der Moderne in Salzburg, im mumok in Wien, im Lentos in Linz etc. Österreich-Pavillon gemeinsam mit Ashley Hans Scheirl 2022 auf der Biennale Venedig
Ashley Hans Scheirl
Geboren 1956 in Salzburg als Angela Scheirl, dann Hans Angela Scheirl und Ashley Hans Scheirl
Ausbildung und Tätigkeit Akademie der bildenden Künste in Wien, Professur für kontextuelle Malerei an der Akademie der bildenden Künste
Ausstellungen u. a. documenta 14 in Kassel, Österreich-Pavillon gemeinsam mit Jakob Lena Knebl 2022 auf der Biennale Venedig
Eröffnung der Ausstellung am 11. Dezember, 15. bis 19 Uhr; zu sehen im Kunsthaus Bregenz vom 12. Dezember bis 14. März, Di bis So, 10 bis 18 Uhr, Do bis 19 Uhr.