Vom Geben und Schenken
In der Zeit vor Weihnachten denken viele Menschen darüber nach, was sie ihren Nächsten schenken, was sie geben könnten. Denn ganz so einfach ist es ja nicht, das passende Geschenk für jeden zu finden, selbst dann nicht, wenn man meint, die beschenkte Person genau zu kennen. Ist dieses Buch, das man in der Buchhandlung in Händen hält, der richtige Titel? So fragt man sich. Soll der Schal vielleicht doch lieber rot als schwarz sein? Wäre das Parfum Opium doch passender als Chanel Nr. 5? Wer weiß das schon alles. Dabei sind wir da erst im Detail, zuerst sollte ja doch wohl Grundsätzliches zum Schenken überlegt werden. Es gibt gute philosophische oder literarische Hinweise, die man zu Rate ziehen könnte. Zuerst empfehle ich Khalil Gibran (1883 – 1931), einen libanesisch-amerikanischen Philosophen und Dichter, der auf viele Fragen seiner Schüler Antwort gegeben hat, unter anderem auch zum Schenken:
„Ihr gebt nur wenig, wenn ihr von eurem Besitz gebt. Erst wenn ihr von euch selber gebt, gebt ihr wahrhaft. Es gibt jene, die von dem Vielen, das sie haben, wenig geben – und sie geben um der Anerkennung willen, und ihr verborgener Wunsch verdirbt ihre Gaben. Und es gibt jene, die wenig haben und alles geben.
Das sind die, die an das Leben und die Fülle des Lebens glauben, und ihr Beutel ist nie leer. Es gibt jene, die mit Freude geben, und die Freude ist ihr Lohn. Sie geben, wie im Tal dort drüben die Myrte ihren Duft verströmt. Durch ihre Hände spricht das Gute, und aus ihren Augen lächelt es auf die Erde. Alles, was ihr habt, wird eines Tages gegeben werden; daher gebt jetzt, dass die Zeit des Gebens eure ist und nicht die eurer Erben.“
Wir haben aber natürlich auch genügend Dichter, die gegen die weihnachtlichen Schenkungstiraden aufgetreten sind, die nicht nach dem Wert, sondern dem Sinn des Geschenks gefragt haben. Zum Beispiel Joachim Ringelnatz (1883 – 1934), der Meister der kleinen, scharfen Form. „Schenke groß oder klein, / Aber immer gediegen. / Wenn die Bedachten / Die Gaben wiegen / Sei dein Gewissen rein. (…) Schenke mit Geist ohne List / Sei eingedenk, / Dass dein Geschenk / Du selber bist.“ Oder wir halten‘s mit Johannes Trojan (1837 – 1915), der über mehrere Strophen seines Gedichts überlegt, was er wohl seiner Tante zu Weihnachten schenken soll. Er kommt vorerst zu keinem Ergebnis, bis er letztlich die ganz profane Lösung findet: „Ich sitze da in tiefem Denken / Und schaue sinnend in das Glas – / Ei was! Ich will ihr gar nichts schenken! / Vielleicht schenkt mir die Tante was.“
„Wir haben aber natürlich auch genügend Dichter, die gegen die weihnachtlichen Schenkungstiraden aufgetreten sind, die nicht nach dem Wert, sondern dem Sinn des Geschenks gefragt haben.“
Walter Fink
walter.fink@vn.at
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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