Spannende Begehrlichkeiten

Martina Morger inszeniert einen Schaufensterbummel der etwas anderen Art.
BREGENZ Ein Schaufenster ist dazu da, Begehrlichkeiten zu wecken. Aber Vorsicht, der Blick durch diese Scheiben könnte ein Verlangen wecken, das nicht zu stillen ist. Die Installation „Window Shopping“ der Liechtensteiner Künstlerin Martina Morger im „DWDS – Die Wiedergeburt des Schaufensters“ ist an diesem Ort geradezu programmatisch. Der Offspace in der Bregenzer Jahnstraße, angedockt an den Pipeline Shop, in dem die hiesige Skate- und Longboard-Szene Brett-Kultur zelebriert, wird zum zweiten Mal von Leon Boch kuratiert. Nach dem Duo Bildstein/Glatz mit dem tollkühnen „Microdrome“ bringt er mit der 31-jährigen Martina Morger die frischgebackene Trägerin des Manor Kunstpreises St.Gallen, wo sie im Kunstmuseum auch eine Ausstellung zeigen wird, nach Bregenz.
Rolle der Frau hinterfragt
In ihrem kompromisslosen Werk beleuchtet die Performance- und Multimediakünstlerin die gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen und Missstände von Leben und Arbeit, und hinterfragt insbesondere die Rolle der Frau und Künstlerin kritisch. Ihre teilweise verstörenden Performances sind von verausgabendem körperlichem Einsatz geprägt. In Paris nahm die Künstlerin die französische Bezeichnung für Schaufensterbummel wörtlich und leckte während des Lockdowns im Frühjahr sogar Schaufenster ab. Ganz so radikal gibt sich Martina Morger in Bregenz nicht, fügt jedoch in großer Konsequenz dem vorweihnachtlichen Schaufensterbummel eine neue Facette hinzu. Ihr Wirken beschränkt sich auf den DWDS-Innenraum, wo sie ein ganz besonderes Winter Wonderland mit künstlichem Schnee, grünem und blauem Licht schafft und sich mit einem umfunktionierten, motorisierten Kartenständer an die Neu-Interpretation des Christbaums wagt. Denn während die meisten Geschäfte rundum wieder geöffnet sind und auf Kunden warten, die das in der Auslage Präsentierte auch kaufen möchten, verweigert sich die Ausstellung von Morger total und erteilt dem Konsum zumindest in materieller Hinsicht eine Absage. Es gibt zwar etwas zu sehen, aber nichts zu erwerben, denn die Tür des Ausstellungsraumes bleibt während der gesamten Dauer zugesperrt. Visuell gereizt und angelockt, wird der Schaufenstergucker auf Distanz gehalten, die Glasscheibe bildet eine transparente, teilweise verspiegelte Barriere zwischen Habenwollen und Bekommen, auf Verheißung folgt Enttäuschung. Da hilft alles Wischen an der Scheibe nichts, die Dinge jenseits bleiben unerreichbar. Über den „Konsum mit den Augen“ wirft Martina Morger, die sich stets sehr lange mit dem Raum, in dem sie arbeitet, beschäftigt, auch die Frage auf, wie etwas in Besitz genommen werden kann und wann einem etwas gehört.
Einfach vorbeischauen
Die Inszenierung der Künstlerin orientiert sich an der Dekoration der Nachbargeschäfte. Sie imitiert auf der einen Seite die Gestaltung mit Lampen aus dem Modegeschäft gegenüber und zitiert um die Ecke die gläsernen Displays und samtigen Schmuck-Halterungen eines Juweliers mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass diese leer bleiben. Zum Konzept von Window Shopping gehört auch das prozesshafte Entstehen, der sich verändernde Raum, der mit den herunterhängenden Kabeln bewusst den Eindruck des Unfertigen erweckt und so manchen Passanten vor Fragen stellt: Wird hier gerade ein- oder ausgeräumt? Ladengeschäft oder Kunstraum? Habe ich etwas verpasst? Also nichts verpassen und vorbeischauen. AG
zur person
Performance- und Multimediakünstlerin Martina Morger
Geboren 1989 in Vaduz/FL
Ausbildung Studium der Medienwissenschaft an der Universität Zürich und der bildenden Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) sowie an der Glasgow School of Arts
Laufbahn internationale Ausstellungs- und Performancetätigkeit, Kuratorin und Organisatorin des Performancefestivals „stereoskop_“
Auszeichnungen Manor Kunstpreis St. Gallen 2021
Wohnort Balzers/FL und Zürich
Die Ausstellung ist im DWDS, Jahnstraße 13 bis 15, Bregenz, als Work in Progress bis 8. Jänner 2021 zu sehen, täglich, 24 Stunden, durchs Schaufenster.