Geschichten mit viel Substanz

Der erste Tote
Tim MacGabhann
Suhrkamp
274 Seiten
Mexiko war schon immer der Ort von großartigen wilden und urbanen Geschichten.
Roman, kurzgeschichten Der US-Autor Tim MacGabhann erdachte sich eine Geschichte, in der ein Journalist auf der Suche nach einer guten Story vom Mex-Syndikat erschossen wird. Das ist tragisch, klingt aber noch nicht nach Thriller. Spannender wird die Story, wenn der Autor scheinbar alles, was in Mexiko nicht glatt läuft, in den Thriller verwebt und das zu einer Geschichte formt. Zum Inhalt: Die Investigativ-Journalisten Andrew und Carlos wollen sich ausnahmsweise etwas zurücknehmen und eine Routinearbeit in den USA abliefern, eine eher oberflächliche Reportage über die Stadt Poza Rica, die unter dem Einfluss der Öl-Multis leidet. Ausgerechnet dort stoßen sie auf einen ziemlich schlimm hergerichteten Toten, der zuvor noch ein aktivistischer Student war. Dazu werden die beiden unsanft aus der Gegend vertrieben. Der Mord am Studenten sollte nie stattgefunden haben. Andrew und Carlos begeben sich auf die Rückfahrt in die Staaten, um ihren redaktionellen Stoff abzuliefern, doch Carlos wird von seinem journalistischen Gewissen gepackt und geht nochmals zurück nach Poza Rica, um über den Tod des Studenten nachzurecherchieren. Nach einiger Zeit bekommt Andrew ein kryptisches SMS und weiß, dass bei Carlos gerade etwas anbrennt und das sind keine Tortillas. Nun ist Andrew gefordert, den Tod seines Partners aufzuklären. Die Spuren führen ihn zu Abel Carranza, den Mann mit den versilberten Schneidezähnen. Es wartet also ein hartes Stück Arbeit – Mexiko pur, könnte man annehmen.
Bei Don Winslow nachlesen
Nach Mexiko zieht es die US-Autoren gerne, wenn sie aufs Ganze gehen wollen und für ihre Fantasie Spielraum brauchen. Dazu hat noch ein anständiges Stück Pathos Platz, der durch den Mexiko-Bonus erträglich wird. Trotz aller Bemühungen scheint Tim MacGabhann zwischen den Dingen hängenzubleiben. Er geht zu wenig auf Tuchfühlung mit den Charakteren und vertreibt seine Zeit mit Geschwätzigkeit. Wie gesagt, eine Menge US-Autoren haben in Mexiko ihren literarischen Wohnsitz angemeldet. Wie es wirklich geht, wäre bei Don Winslow nachzulesen.
Kurzgeschichten gelten für manche Autoren als Verschnaufpause zwischen zwei großen Werken, wenn sie etwas abliefern müssen. Es gibt auch Ausnahmen. Joseph O’Neill zum Beispiel, der seit rund 20 Jahren in den Vereinigten Staaten lebt und mit seinen 9/11-Roman „Niederland“ berühmt wurde. Jetzt liefert er mit „Guter Ärger“ eine Sammlung klassischer Kurzgeschichten ab. Grob gesagt geht es um Menschen über 40, noch bevor unsere Pandemie begann. „Normale“ Probleme also: Scheidungen, Hochzeiten, Jobverluste, zu kleine Wohnungen und schlecht gelaufene Golfrunden in Florida. Das Herausragende an O’Neills organischen Storys sind die philosophischen Ansätze seiner Gedanken, die absolute Verdichtung der Ereignisse, die auch im Schreibstil reflektiert werden und schlussendlich die Substanz, die in ihnen steckt – für Genrefreunde ein Ereignis. Anzulesen wären „Begnadigt Edward Snowden“ und „Die Referenzgeber“.

Guter Ärger
Joseph O’Neill
Rowohlt
173 Seiten