Ein Text, der unter die Haut geht

Das Leben in der Exklusion hat viele Gesichter.
Erzählung Auch abgesenkte Gehsteigkanten haben ihre Tücken. Wenn parkende Autos derart enge Lücken lassen, dass für Rollstühle einfach kein Durchkommen möglich ist, stellen sich Schreck, Angst und Wut ein angesichts notwendiger Umwege. Sieht denn keiner, wie ich hier festhänge?
Christoph Keller, der Autor dieser grausam ironischen Schilderung des Verlusts der Muskelkraft und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, sich seinen Teil vom normalen Leben zu nehmen, bedient sich einer vordergründig neutralen Sprache zur Beschreibung des Verlaufs der Spinalen Muskelatrophie: „Ich war vierzehn, als ich die Diagnose SMA erhielt. Davon gibt es drei Typen: SMA I d.h. Tod bereits als Jugendlicher. SMA II bedeutet, dass du nie wirst gehen können, dein Leben in einem Rollstuhl verbringen wirst, wahrscheinlich mit einer Atemhilfe. SMA III, die ich habe, ist the happiest one“.
Wie „leicht und glücklich“ der Alltag mit SMA III zu bewältigen ist, kann jeder mit einem Minimum an Verstand und Empathie ausgestattete Mensch sich ausmalen, durch die Schilderung alltäglicher Verrichtungen wie das Verlassen des Betts und der Morgentoilette. Beklommen fragt sich der erschöpfte Patient, wie lange er das noch mit der eingeschränkten, aber sehr liebevollen Hilfe seiner Lebens- und Liebesgefährtin schaffen wird. Sie sagt, kurz nachdem sie und Keller sich begegnet sind und er ihr anvertraut, dass SMA zu Atembeschwerden führen kann: Ich werde für dich atmen. Ebenso ruhig und unbeirrt stellt sie nach der Zerstörung des World Trade Center klar: Ich werde mit dir sterben. Oft malt er sich Menschen aus, die Jan und ihm zu Hilfe kämen, wenn das Benützen des Lifts verboten wäre – fantastisch, aber immerhin möglich, so denkt er. Realiter trifft er meist Zeitgenossen, die auf Barhockern ihre Drinks genießen und auf seine höfliche Bitte, ihre Sitzgelegenheit etwas näher zur Bar zu rücken, gar nicht oder unwillig reagieren.
Schriftsteller Christoph Keller verbirgt nicht seine Bitterkeit, öfter wird jedoch seine liebenswürdige, humorvolle Seite sichtbar. salg
„Jeder Krüppel ein Superheld“, Christoph Keller, Limmat, 216 Seiten