Ein konservativer Reformer

Zu allen Zeiten und in allen Gegenden gab es Menschen, die in ihrem jeweiligen Umfeld durch Kompetenz und Charisma, durch Großzügigkeit und Weitblick hervorstachen. Wenn sie der Lebens- und Vorstellungswelt ihrer Ortsgenossen nicht zu weit voraus waren und sich einigermaßen innerhalb der engen Grenzen, die Obrig- und Geistlichkeit vorgaben, bewegten, konnten sie für die Gemeinschaft kräftig und innovativ wirken. Der Bauer Jodok Fink (1853–1929), der es neben vielen anderen öffentlichen Funktionen zum ersten Vizekanzler der Republik Österreich brachte, war die auffälligste Verkörperung dieses Typus.
Hier soll mit Josef Anton Hirschbühl eine Persönlichkeit vorgestellt werden, die im engeren Kreis wirkmächtig war, zugleich Zeitgenosse, Freund und politischer Mitstreiter von Jodok Fink. Wie dieser verstand es Hirschbühl, „weise Sparsamkeit mit einem vernünftigen Fortschritt zu verbinden“. Auf diese Art vom klerikalen Vorarlberger Volksblatt gelobt zu werden, war eine ungewöhnliche Ausnahme, weil es für die kämpferische Zeitung in der Regel zwischen konservativer Sparsamkeit und liberalem Fortschritt, das heißt, zwischen Schwarz und Weiß, keine Synthese geben konnte. Josef Anton Hirschbühl, einem gefestigten katholisch-konservativen Parteigänger, gelang es, die Tür zu Gesprächen und zum Ideenabgleich mit liberalen Konkurrenten offen zu halten, was sowohl seinen privaten Geschäften als auch seinen öffentlichen Anliegen dienlich war. Wie Jodok Fink wusste er um die Bedeutung des Kompromisses in öffentlichen Auseinandersetzungen, konnte binden und lösen, ohne den eigenen Standpunkt aufzugeben. Sein einnehmendes Wesen und seine Kompetenz in wirtschaftlichen Fragen ließen ihn zu einer Persönlichkeit reifen, die in öffentlichen Angelegenheiten gefragt und als Funktionär gesucht war.
Geboren wurde Josef Anton Hirschbühl am 22. September 1855 in Krumbach. Seine Eltern hatten erst ein halbes Jahr zuvor geheiratet. Sie waren verwandt und hatten auf die bischöfliche Dispens warten müssen. Ehen unter Verwandten waren in der Bregenzerwälder Oberschicht üblich, damit Besitz und Vermögen nicht verstreut wurden. Diese Regel für die Partnerwahl war auch im Sprichwort „Alp zu Alp und Gut zu Gut, so ist as Wäldarbruh“ festgeschrieben. Hirschbühls Vater Alois stammte aus dem Krumbacher Gasthaus Adler, sein Bruder Stefan, der Wirt, war Vorsteher und Landtagsabgeordneter, und Alois Hirschbühl besorgte den Teil des Familiengeschäfts, das die meisten großen Wirte neben dem Ausschank betrieben, nämlich den Geldverlieh und den Geldwechsel. Letzterer war im Vorderwald von Bedeutung, weil sich die dortigen Einwohner wirtschaftlich und verkehrsmäßig stark nach Oberstaufen orientierten. Der Ort war nämlich bereits seit 1853 an die Eisenbahnstrecke Lindau–München angebunden.
Josef Anton Hirschbühl lernte bei seinem Vater das Geldgeschäft und kam als junger Mann zur Poststelle in Egg, wo er eine Prüfung zum Rechnungswesen abzulegen hatte. Danach wechselte er zur 1850 gegründeten Egger „Spar- und Vorschusskasse“ als Buchhalter und Kassier. In Egg erwarb sich der Kassamann durch sein berufliches Auftreten und sein öffentliches Engagement einen außergewöhnlichen Status, der sich darin zeigte, dass er bei seinem Abgang wie ein Ehrenbürger verabschiedet wurde: Mit einem Dorffest mit Musik, Reden, Auftritten der Vereine und Geschenken. Hirschbühl hatte in Egg die Gründung einer Feuerwehr initiiert und war ihr erster Kommandant, wurde zum prestigeträchtigen Schützenmeister gewählt und hatte sich durch seine umsichtige Kassenführung und sein einnehmendes Wesen Ansehen erworben. Die Kasse berief ihn in den Aufsichtsrat, die Feuerwehr ernannte ihn zum Ehrenmitglied. Der Vorsteher gab in seiner Rede „seinem tiefen Leidwesen über dessen Scheiden“, zugleich aber der Hoffnung Ausdruck, dass der „Kassa-Anton“ Egg verbunden bleibe, „auch wenn er jetzt in glückliche Verhältnisse hinübergeschwommen nach Montenegro“. Mit Montenegro war Schwarzenberg und mit den glücklichen Verhältnissen seine Heirat mit Maria Anna Metzler (1861–1894), der reichsten Schwarzenbergerin, gemeint. Deren Eltern waren ebenfalls verwandt, gehörten zur Dorfelite von Schwarzenberg und hinterließen ihrer Tochter ein stattliches Vermögen, eine Landwirtschaft und ein repräsentatives neues Haus mit Handelsgeschäft am Kirchplatz. Das alte Gebäude war wenige Jahre zuvor nach einem Blitzschlag abgebrannt und danach in der heutigen Form neu errichtet worden.
Gleich nach seiner Heirat nach Schwarzenberg im Jahr 1890 entwickelte Hirschbühl, der sich nun Ökonom und Handelsmann nannte, eine Reihe von öffentlichen Aktivitäten. Zusammen mit den damals bedeutendsten Persönlichkeiten des Hinterwalds, nämlich mit Jodok Fink, mit dem Schnepfauer Vorsteher, Privatgelehrten und Schulbuchautor Franz Xaver Moosmann und dem Bezauer Lithografen und Felder-Freund Josef Feuerstein wurde er zum Mitglied eines Ausschusses zur Vorbereitung des Baues der Wälderbahn bestellt. 1891 folgte seine Wahl in den Gemeindeausschuss. Noch in Egg war er zum Obmann der Bregenzerwälder Feuerversicherung gewählt worden, eine Einrichtung, die er zusammen mit Jodok Fink initiiert hatte.
So anhaltend wie sein Aufstieg im öffentlichen Leben sich gestaltete, so kurz verlief sein familiäres Glück. Bereits zu Weihnachten 1894, kurz nach der Geburt und dem Tod ihres dritten Kindes, verstarb Ehefrau Maria Anna. Wenige Monate zuvor hatte das Ehepaar auch den Tod des zweiten Kindes zu beklagen. So blieb dem Witwer sein einziger Sohn Franz Ignaz, dem der Vater eine Ausbildung in der Feldkircher Stella matutina und in einer landwirtschaftlichen Fachschule in der Schweiz zukommen ließ. Die Hauswirtschaft führte nun Hirschbühls jüngere Schwester.
Mit dem frühen Ende des trauten Familienlebens scheint sich Hirschbühl noch stärker seinen beruflichen Herausforderungen und dem öffentlichen Engagement verschrieben zu haben. Als Landwirt widmete er sich in erster Linie der Viehzucht; zahlreiche Prämierungen auf Viehausstellungen zeugen von seinen Erfolgen. Hier wie auf anderen Gebieten versuchte er seine Dorfgenossen auf den Weg zur Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion mitzunehmen. Im Gegensatz zu anderen konservativen Bauernvertretern kooperierte er eng mit dem Vorarlberger landwirtschaftlichen Verein, fungierte als Ausschussmitglied und Preisrichter. Die meisten seiner Parteigänger begegneten diesem Verein mit Skepsis oder gar Ablehnung, weil er von liberalen Gutsherren dominiert war. So erwies sich Hirschbühl zunehmend als Mittler zwischen bäuerlichem Beharren und bürgerlichem Fortschritt. In seinem Nachruf wurde er zu Recht als „treuer Berater der Bregenzerwälder Bauernschaft“ bezeichnet. Dieses Lob bezog sich nicht zuletzt darauf, dass Hirschbühl – seit 1897 auch Vorsteher von Schwarzenberg – die Initiative zu einer Sennereigenossenschaft ergriffen hatte. Natürlich war er auch der erste Obmann dieses Unternehmens, das bald über die Ortsgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte. Er engagierte mit Josef Rupp den ersten Vorarlberger Käsermeister, der in der Schweiz die Herstellung von original „Emmentaler nach Schweizer Art“ gelernt hatte. Das war deshalb von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung, da sich diese Sorte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bei den großstädtischen Konsumenten größter Beliebtheit erfreute.
1902 wurde Josef Anton Hirschbühl in den Vorarlberger Landtag gewählt und übernahm mit diesem Mandat etliche weitere Funktionen: etwa in der „Einkommenssteuer-Schätzungskommission“, als Ersatzmitglied im Vorstand der neu gegründeten Hypothekenbank, im Bezirksschulrat, als Geschworener sowie als Aufsichtsorgan bei der Durchführung landwirtschaftlicher Gesetze. Als Obmann des „Bregenzerwälder-Feuerwehr-Gauverbandes“ und Vorstandsmitglied der Feuerassekuranz blieb er auch der Brandverhütung treu. Nach der Niederlegung des Vorsteheramtes im Sommer 1906 blieb er der Gemeinde als Straßenmeister, als Förderer des Verschönerungsvereins, als Ratgeber, Spender und Vermittler nach außen verbunden.
Am 23. Jänner 1909 begab sich Hirschbühl per Postschlitten auf Geschäftsreise nach Oberstaufen. In Lingenau wurde der Schlitten von einer Föhnböe erfasst, „aus der Bahn gehoben und eine Böschung hinabgeworfen“. Dabei wurde der Landtagsabgeordnete schwer verletzt. Die Angehörigen ließen das Unfallopfer ins erst kurz zuvor eröffnete Hohenemser Spital bringen, wo Hirschbühl vom renommierten Dr. Neudörfer operiert wurde. Drei Tage später verstarb er aber an inneren Verletzungen. Auf dem gleichen Weg hatte gut 20 Jahre zuvor der Vater des Verstorbenen ebenfalls einen Kutschenunfall. Damals stürzte allerdings das Pferd in die Tiefe, während der Wagen an einem Hindernis am Straßenrand hängen blieb.
Bei der Beerdigung des Altvorstehers und Abgeordneten konnte die Schwarzenberger Kirche die enorme Anzahl an Trauergästen nicht fassen. In den Nachrufen wurde Josef Anton Hirschbühl als ausgewiesener Fachmann, großer Wohltäter und „kerniger Katholik“ gewürdigt. „Wie kein Zweiter“ habe er „Achtung und Zutrauen aller erworben“. Überlebt haben ihn die Werke seines öffentlichen Engagements in der Gemeinde und darüber hinaus. Seinen Sinn für die engagierte Teilnahme am Gemeinwesen konnte er weitervermitteln: Sowohl sein Sohn als auch sein Enkel wirkten als Bürgermeister von Schwarzenberg.


Spezereihandlung) Hirschbühl in Schwarzenberg.