Das Wiederfinden im Gedächtnis

Kultur / 19.03.2021 • 17:11 Uhr / 2 Minuten Lesezeit
Das Wiederfinden im Gedächtnis

Claudia Tondl hat Gespräche mit von Demenz betroffenen Menschen aufgezeichnet.

Erzählungen Der Band “Klosterneuburg sagst du” verblüfft mit dem Gegenteil des Erwartbaren: mit leiser Poesie, zärtlichem Humor und vielfältigen Erinnerungsbildern, die erstaunlich viel Raum lassen zum Weiterdenken. Ein Projekt mit dem Netzwerk “Gut leben mit Demenz” bildete den Ausgangspunkt für Tondls Vorhaben, die Zusammenkünfte der Teilnehmer an Erzählcafés zu dokumentieren. Sie belässt die Sprache im lautlichen Original, inklusive Leerläufen, Wiederholungen und Phrasen, und zitiert Passagen aus Gesprächen und Berichten, die sich im Verlauf des Buches zu einem vielstimmigen Gewebe verdichten. Dass nicht immer klar wird, wer gerade spricht, erzeugt einen latenten Schwebezustand, der zum spezifischen Reiz der Lektüre beiträgt.

Fast en passant lassen die Menschen ihr Leben Revue passieren, aus kurzen Episoden entstehen ansatzweise Biografien, samt Liebesgeschichten, Träumen, Versäumnissen und immer wieder dem Ausdruck der Verbundenheit mit der Stadt, obgleich es die Orte von früher kaum mehr gibt. Ein besonderes Kleinod ist die Geschichte vom Schubert-Film “Das Dreimäderlhaus”, in dem für eine Sekunde ein Eisenbahnwaggon vorkommt. An den Waggon erinnert sich eine Erzählerin, weil er einst in Klosterneuburg stand. Deshalb erwarb sie eine DVD des Films – nur wegen dieser einen Sekunde. Das erinnert geradezu an Antonionis Film “Blow up”: ein Festhalten, ein Beharren auf der Sichtbarkeit des flüchtigen Details.

“Klosterneuburg sagst du”, Claudia Tondl, Literaturedition NÖ, 192 Seiten.

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