Hebe einen funkelnden Schatz

Wenn du gerne schreibst und du überprüfen willst, ob dein Text gut ist, so empfiehlt es sich, aus deinem Elaborat laut vorzulesen. Wie kannst du deinem im stillen Kämmerlein verfassten Roman, deiner Kurzgeschichte, deinem Gedicht Rhythmus und Struktur geben? Entwickle neben deinen Schreibkompetenzen auch deine Vortragsfähigkeiten weiter. Um Fortschritte zu erzielen, lass dir regelmäßig Feedback geben. Beim lauten Lesen entdecken wir leichter auch blinde Flecken unseres ach so holden Schreiberzeugnisses. Vielleicht liest es sich ganz gut, aber es klingt laut irgendwie komisch. Also gibt es Verbesserungsbedarf. Probiere es aus, vielleicht passt der Rhythmus auf eine andere Weise besser, eventuell stört ein Wort.
Laut vortragen
Ein Text ist wie ein lebendiger Organismus. So verbesserst du auch gleich deinen Vortrag. In meinen Schreibworkshops arbeiten wir an folgenden Fragestellungen: Wie präsentiere ich meinen Text? Stehe ich wirklich hinter ihm, mit meiner ganzen Persönlichkeit, oder ist mir was peinlich? Wir arbeiten an der Präsenz, am Ausdruck. Wir simulieren auch die Situation einer angsteinflößenden Lesung vor Publikum. Wie du ja weißt: Alles steht und fällt mit einem gelungenen Vortrag. Damit du einen besseren Bezug zu deinem literarischen Werk bekommst, lies deine Zeilen immer mal wieder auch für dich laut vor. Bellende Hunde beißen nicht. Eine beliebte Übung: Schreibe einen Satz auf und trage ihn auf unterschiedliche Weise vor. Einmal schreist du ihn heraus, dann wieder bist du leise und gefasst. Hierauf liest du wiederum voller Enthusiasmus. Spiele mit Tempo und Pausen. Ein paar performative Elemente dürfen schon sein. Es gibt so viele Arten, deinen Texten Leben einzuhauchen.
In der Gruppe und frische Luft
Jede Person sagt einen Satz. Danach spricht die zweite Person ihren Satz und gibt das Wort im Uhrzeigersinn weiter. So wird der Faden weitergesponnen. Personen und Geschichten entwickeln sich aus dem Nichts. Den Schreibprozess von der Abschottung in den eigenen vier Wänden zu befreien hat Vorteile: In der Gruppe kommt es zu komischen Wendungen, absurden Handlungen, und es gibt vor allem viel zu lachen. Um einer gefürchteten Schreibblockade zu entgehen, ist es empfehlenswert, sich auch mal eine Schreibpause zu gönnen. Statt verkrampft vor dem Computer zu lümmeln, bis die Augen wie „Dörrzwetschken“ vor dem Bildschirm vertrocknen, deine Schultern vor lauter „stressing points“ schmerzen und die Finger glühen, der Kopf jedoch immer leerer wird, rate ich dir, einmal aufzustehen. Geh hinaus an die frische Luft, um neue Energie zu tanken und das Problem kurz mal auszublenden. Deine Hauptfiguren kommen schon alleine zurecht. Keine Sorge. Wechsle das Setting. Geh in den Wald oder zum See. Genieße den Szenenwechsel, dann küsst dich wieder die Muse. Wenn du zurückkommst, ist dir die Lösung eingefallen.
Text &Film
Wenn dir herkömmliche Lesungen zu langweilig sind, dann gibt es jetzt den richtigen Tipp: In unserer digitalisierten, virtuellen Welt sind wir schon längst in der „neuen Normalität“ angekommen. Mach das Beste draus! Immer mehr Schreibende verfilmen ihre Poesie und experimentieren multimedial mit ihren Texten. Spannende Synergien entwickeln sich. Entweder mit Smartphone oder mit der Videokamera bewaffnet entfalten sich hier viele Möglichkeiten, Öffentlichkeit zu generieren. Dies hat sich zu einem Trend in den letzten Jahren entwickelt. Es gibt schon viele Poesiefilmfestivals abseits herkömmlicher Wasserglaslesungen. Ich lade immer wieder Autoren ein, ihre Textfilme bzw. Poesiefilme in der Reihe Text & Film zu präsentieren. Vielleicht ist es diese Form, die dich begeistert?
Ablenkungen verbannen
In einer Welt des Selbstoptimierens, der vielfältigen Anpassung an Vorgaben jeder Art ist sie ein rares Gut: Zeit. Wer auf Internet, YouTube, Fernsehen, Radio, soziale oder besser asoziale Medien verzichtet, der schafft sich kostbare Freiräume. Denn diese Zeit-, und Energiefresser verstopfen die eigenen Kanäle, verschütten den Zugang zur inneren Quelle der Inspiration. Wir prokrastinieren und machen zwischendurch etwas anderes. Hier empfiehlt es sich strikt, zuerst der inneren Stimme zu lauschen, ihr Raum zu geben. Zuerst ist sie vielleicht noch leise im Käfig der Konventionen eingesperrt, aber wehe, wenn sie mal losgelassen wird. Uuaaah! Mir z.B. hilft es, früh morgens zu schreiben, bevor alles scheinbar Wichtige auf mich einstürzt. Morgengedichte sind hier das Mittel der Wahl. Ganz wichtig auch in Coronazeiten: Vergiss die Informationsflut von außen. Gehe in deine innere Welt und hebe einen funkelnden Schatz. Die Welt wartet auf dich.
Zur Person
SI.SI Klocker
Geboren 1967 in Bregenz, lebt in Wien
Tätigkeit Autorin, Performerin, Multi-Media Künstlerin, Filmemacherin, Sängerin, Workshopleiterin
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.