Musiker sind wie Aquariumsfische, denen das Wasser ausgelassen wurde

Kultur / 29.04.2021 • 20:00 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Musiker sind wie Aquariumsfische, denen das Wasser ausgelassen wurde
Martin Schelling arbeitet an einem Kinderbuch mit einer Zirkusgeschichte, in der alle Instrumente des Blasorchesters mit unterschiedlichen musikalischen Charakteren und Stilen vorgestellt werden. SILVIA THURNER

Martin Schelling kämpft gegen den Coronafrust von Jungmusikanten.

LAUTERACH 30 Jahre war er als führender Klarinettist des Landes im Symphonieorchester Vorarlberg klangprägend, leitete Bürgermusik und Jugendkapelle seiner Heimatgemeinde, passt mit seinem Humor haargenau in die fabelhafte Musikvermittlungspartie „Die Schurken“ und hat nun auch zu komponieren begonnen. So, als hätte er viele Musikerleben.

Viele Profibläser verweisen gerne auf ihre Herkunft aus der ländlichen Blasmusik, bevor sie im besten Fall dann bei den Wiener Philharmonikern landen. Wie war das bei Ihnen?
Ich hatte immerhin einen Soloklarinettisten dieses Orchesters als Lehrer, Alfred Prinz. Mein erster Klarinettenlehrer Rudolf Hoch, ein unglaublich motivierender Freund und Pädagoge, nahm mich mit auf ein Konzert von Alois Brandhofer, einem absoluten Meister des Wiener Klarinettenstils. Dieser unvergleichliche Klang hat mich so gepackt, dass ich wusste: Das ist die Klarinette, dieser noble, elegante, farbige, urkräftige Ton, das will ich auch können! Bei ihm und Alfred Prinz durfte ich dann studieren – eine wunderbare Erfahrung!


Sie zählten jahrzehntelang mit Eugen Bertel, Allen Smith und Heidrun Pflüger zu den prägenden Solobläserpersönlichkeiten des SOV. Warum nun dieser Abschied?
Die Arbeit mit den Kollegen war echt toll, aber der Tagesablauf während einer Probenwoche war doch immer sehr stressig: Morgens eine Stunde schwere Solostellen üben, dann vormittags zweieinhalb Stunden Probe, Sandwich im Auto bei der Fahrt zum Unterrichtsort, sechs Stunden unterrichten, Banane am Rückweg im Auto, zweieinhalb Stunden Probe, 23 Uhr ins Bett, und das fünf Tage in Folge. Und dazu: In 30 Jahren dreimal eine minimale Gehaltserhöhung.

Sie wirken forever young. Hat Ihnen Corona zu schaffen gemacht?
Ich habe eine Corona-Infektion hinter mir, die Gott sei Dank so mild verlief, dass ich sie gar nicht mitbekommen habe. Aber die Erkenntnis, dass ich statt in meinen Waldviertlern nun auch in einer Urne herumstehen könnte, hat mir klargemacht, wie wichtig es ist, eine berufliche Prioritätenliste für die verbleibende Lebenszeit zu erstellen: toll unterrichten, Musikvermittlung mit den „Schurken“, Jugendkapelle Lauterach.

Damit sind wir doch bei den ländlichen Blaskapellen wie der BM Lauterach oder deren Jugendkapelle, die Sie nun als Profi auf Vordermann gebracht haben.
Als Kapellmeister eines Amateurvereins gilt es, den Teamgeist der technisch heterogenen Gruppe durch musikalische Tipps und Entertainer-Qualitäten zu entwickeln, über Bilder gemeinsame musikalische Vorstellungen zu schaffen, Begeisterung für die Schönheit der Musik zu wecken und damit leben zu können, dass das Ergebnis nie der eigenen inneren Vorstellung entsprechen wird, da technische Limits nicht aus der Welt zu schaffen sind. Aus meinem Verein sind übrigens mehrere fantastische Berufsmusiker herausgewachsen, etwa Alex Ladstätter, Wolfgang Mischi, Lukas Rüdisser u. a.

Sie sind zuletzt auch als Komponist in Erscheinung getreten. Kann man sich da eine jugendlich-ungeschminkte Musik erwarten?
Mein Stil ist „Non-banal tonal“. Ich schreibe immer für Musiker, die mir am Herzen liegen und die ich kenne. Für die professionellen „Schurken“-Freunde und hochbegabte Schüler kann man hemmungslos schreiben, was einem so meist um vier Uhr morgens im Traum einfällt. Beim Schreiben für die Jugendkapelle dagegen muss man sich bewusst sein, dass eine schnelle Passage mit mehr als acht Sechzehntelnoten zu Schwindel- und Übelkeitsgefühlen bei den jungen Leuten führen kann.

Wie sehen Sie die Situation nach einem Jahr strenger Einschränkungen durch Corona bei den Vereinen, was hat das an Frustrationen ausgelöst?
Da geht es tatsächlich um Existenzielles auf mehreren Ebenen. Die Nachwuchswerbung, bei der man in die Schulen ging, um den Kindern Instrumente zu zeigen und sie probieren zu lassen, ist im zweiten Jahr in Folge unmöglich. Bei den Musikanten und Musikschülern ohne Auftrittsmöglichkeiten die Übe-Motivation aufrechtzuerhalten ist so erfolgversprechend wie erste Hilfe bei Aquariumsfischen, denen das Wasser ausgelassen wurde.

Haben Sie ein Mittel gefunden, um Abhilfe zu schaffen?
Ja, ich arbeite die letzten neun Monate an einem neuen Projekt. Es soll ein Kinderbuch mit einer Zirkusgeschichte werden, in dem alle Instrumente des Blasorchesters mit unterschiedlichen musikalischen Charakteren und Stilen vorgestellt werden, quasi ein niederschwelliger „Peter und der Wolf“ für Blasorchester. Mit Erin Bereuter, die das Buch illustrieren wird, und Matthias Schmidt, der die Schlagzeugparts beisteuern wird, habe ich zwei ideale künstlerische Partner, die Vereinsführung der Bürgermusik um Lothar Hinteregger ist auf der Suche nach Sponsoren, um das Projekt Wirklichkeit werden zu lassen. Fritz Jurmann

MARTIN SCHELLING

Geboren 20. Februar 1962 in Dornbirn

AUSBILDUNG Musik-Uni Wien Konzertfach Klarinette Diplom, Studium IGP Diplom

TÄTIGKEIT Unterrichtstätigkeit an den Musikschulen Feldkirch und Am Hofsteig, Soloklarinettist des SOV, seit 2004 Mitglied der „Schurken“, 1991 bis 2009 Kapellmeister der Bürgermusik Lauterach, später der Jugendkapelle, solistische und kammermusikalische Tätigkeit, Kompositionen für Kammermusik und Blasmusik

FAMILIE verheiratet, drei Kinder

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