Aktionstheater zeigt, wie es unter der naiven Oberfläche brodelt

Der Premierenjubel für “Lonely Ballads EINS + ZWEI” des Aktionstheaters in Wien verleiht dem Bregenzer Auftritt Spannung.
Wien, bregenz Wer Aufführungen des Aktionstheaters im Werk X in Wien schon mehrmals besucht hat, der darf festhalten, dass das Publikum in der Bundeshauptstadt spontaner und lauter reagiert, seiner Begeisterung somit direkter Ausdruck verleiht als jenes in Vorarlberg, wo man die Projekte aber durchaus schätzt und die Häuser jeweils füllt. Martin Gruber, aus Vorarlberg stammend, Leiter, Regisseur und mittlerweile auch maßgeblicher Textautor neben den jeweiligen Akteuren, ist nicht nur hier wie dort zu Hause, seine jahrzehntelange Präsenz in der österreichischen Szene ist ein höchst bemerkenswerter, wenn nicht einzigartiger Faktor. “Immer für Überraschungen gut”, diese Marke, die Rezipienten dem Ensemble gegeben haben, ist durchaus herausfordernd. Sie gilt auch für “Lonely Ballads EINS + ZWEI”, deren Uraufführung mit Partnern in Dornbirn und Bregenz von Corona behindert wurde, was den Wienern eine Premiere bescherte. Gruber ließ beide Teile zusammenschweißen und offeriert in Bregenz an einem Zusatztermin demnächst einen Part daraus.
Sehr politisch
Oftmals ähnlich und dennoch anders – was heißt das nun? In der bedrohlichen, aber auch absurden Situation, in die uns die Pandemie versetzte, skizzieren vier Personen, die beim Aktionstheater immer so heißen wie die Schauspieler, eine Art Bestandsaufnahme. Das erscheint bis zum Abwinken naiv, witzig überdreht und in der Entäußerung bis zur Schmerzgrenze peinlich, weist aber jeweils auch in Abgründe. Politische Aspekte wie die psychologische Verfasstheit von Staatsmännern, die sich in Autokraten verwandeln und wie etwa in den USA nicht einmal von den Wählern deutlich gestoppt werden, sind eingestreute Bestandteile dieser Monologe. Ein anderes Mal tritt im Alltag unbehelligter Rassismus zutage, und dann wiederum steht das große Thema Identität im Raum, wenn eine Jüdin in Österreich wegen ihrer deutschen Sprache aneckt.

Die Mechanismen einer Aktionstheaterproduktion wiederholen sich, eines passiert Martin Gruber und seinem Ensemble aber nie: Dass das Humorvolle, wie sonstwo hundertfach vernommen, ins Ernste kippt, dass es auf der Bühne wie im Publikum dann manieriert bis pathetisch still wird, diesen Effekt gibt es nicht. Gruber weiß Ungeheuerliches zu platzieren, weiß, wie er über den Text und die Darstellung erspüren lässt, was in der öffentlichen Wahrnehmung gerade so läuft, was etwa das Themenpaket Message Control tangiert. Und da erzählt eine junge, an ihrem Kleidchen nestelnde Frau (Isabella Jeschke) dann eben davon, dass sie sich mit den Corona-Hilfszahlungen einen Beamer geleistet hat, weil das Angebot gerade so verlockend war oder dass sie ungeplant schwanger ist, bevor sie sich damit befasst, inwieweit es korrekt ist, Hitler auf der Bühne darzustellen.
Perfekter Musik-Part
Einen vor sich hergetragenen ironischen Einschub, dass man sich mit einer 1000-Euro-Hilfszahlung als mit Auftrittsverboten konfrontierte Schauspielerin plötzlich reich fühlt, hätte man sich eventuell sparen können. Verwässert werden die Szenen dadurch aber nicht, die Tamara Stern etwa fest im Griff hat, wenn sie über Freundlichkeiten reflektiert. Bei Thomas Kolle, dem vordergründigen Pedanten, geht es im Kern um die Solidarität, und bei Benjamin Vanyek führt ein verpfuschtes Leben nicht zu jener Melancholie, die gerade in Österreich gerne stilisiert wird. Die hinter einer transparenten Wand postierte Band (Nadine Abado, Andreas Dauböck, Simon Gramberger, Kristian Musser, Joachim Rigler und Simon Scharinger) darf sich Raunzer erlauben, die rockigen bis schmeichelnden Balladen sind derart perfekt mit dem Text verzahnt, dass man eventuell noch einmal kommt, weil das die eigens produzierte Tonaufnahme natürlich nicht wiedergeben kann.

Weitere Aufführungen bis 21. Juni im Werk X in Wien, am 24. und 25. Juni wird ein größerer Teil des Projekts im Theater Kosmos in Bregenz gezeigt.
