Haben Sie völlig den Verstand verloren?
Bisweilen verändern sich Dinge, über die man sich ursprünglich geärgert hatte, in ihr Gegenteil, sie werden zu Glücksfällen. Als sich bei der Nationalratswahl 2019 Harald Walser, erfolgreicher Bildungssprecher der Grünen, nicht mehr auf wählbarem Platz fand, verstand man die Welt nicht mehr. Für zwei Jahre waren die Grünen – dank des Racheaktes von Peter Pilz – aus dem Nationalrat geflogen, nun stiegen sie wie Phönix aus der Asche wieder auf , wurden gleich zum Regierungspartner der Türkisen, denen ihre bisher liebsten Freunde, die Freiheitlichen, abhandengekommen waren. Nicht dabei war Harald Walser – sehr zum Missfallen vieler, denen Bildung ein besonderes Anliegen war.
Heute kann man das fast als Glücksfall sehen. Denn durch die Absenz von beruflicher Politik gewann Harald Walser Zeit, sich wieder als Historiker zu finden. Und ein Thema hatte er auch. Er knüpfte an frühere Forschungsarbeit von ihm an und beschäftigte sich eingehend mit Maria Stromberger, die als „Engel von Auschwitz“ bekannt wurde. Maria Stromberger hatte ihre Ausbildung als Krankenschwester 1937 im Sanatorium des Klosters Mehrerau begonnen, meldete sich dann zum Dienst in Polen, um schließlich freiwillig als Krankenschwester nach Auschwitz zu gehen. Ihr damaligen Vorgesetzter kommentierte diesen Wunsch so: „Schwester, haben Sie völlig den Verstand verloren, dass Sie in diese Hölle gehen wollen?“
„In jedem Fall ist das Buch eine entscheidende Bereicherung der inzwischen schon ziemlich umfangreichen Literatur zur Vorarlberger Zeitgeschichte.“
Wie dieser Weg in die „Hölle“, der Aufenthalt in ihr, das Entkommen daraus und wie die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg für Maria Stromberger verlief, das schildert Harald Walser in seinem eben erschienenen Buch „Ein Engel in der Hölle von Auschwitz“ (Falter Verlag). Am Donnerstag wurde das Buch im Kloster Mehrerau, wo der Weg von Maria Stromberger begann, unter anderem von Falter-Herausgeber Armin Thurnher vorgestellt. Die Präsentation vor vollem Haus war hochinteressant. Fast so interessant wie das Lesen des Buches, das nicht nur das Leben von Maria Stromberger und die Zeit nach dem Krieg, die ihr weder Gerechtigkeit noch Anerkennung brachte, beleuchtet. Man kann und soll es auch als Sittenbild und Sozialgeschichte der Zeit im und nach dem Krieg sehen, was insofern leicht ist, als es Harald Walser – selten genug für historische Bücher – gelungen ist, einen Text zu liefern, der leicht zu lesen und zu verstehen ist. In jedem Fall ist das Buch eine entscheidende Bereicherung der inzwischen schon ziemlich umfangreichen Literatur zur Vorarlberger Zeitgeschichte, die nicht zuletzt den Historikern um die Malin-Gesellschaft, die auch für diese Präsentation verantwortlich zeichnete, zu verdanken ist.
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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