„Die Liebe ist ein Zeitvertreib“
Diesmal möchte ich Ihnen zwei Bücher vorstellen. Sie tragen den Titel “1913” und “Liebe in Zeiten des Hasses”. Geschrieben hat sie der deutsche Autor Florian Illies. Er erhielt dafür zu Recht oft geradezu hymnische Kritiken im nationalen und internationalen Feuilleton. Ich habe beide mit großem Vergnügen und Interesse gelesen, eine wahres Erlebnis, das auch Sie sich in einer hoffentlich friedlichen und gesunden Weihnachtszeit nicht entgehen lassen sollten. In seinem Buch “1913“, zeitgerecht zum 100-jährigen Jubiläum schon 2013 erschienen, breitet Illies vor uns kaleidoskopartig das schillernde kulturelle und politische Leben des Jahres 1913 aus, eines jener zu Unrecht zu kurz gekommenen, vom Ersten Weltkrieg in den Schatten der Weltgeschichte verdrängten Jahre. Elegant fügt der Erzähler Anektote an Anektote zu einer großen atmosphärischen Geschichte über eine blühende Welt am Vorabend ihrer Apokalypse.
So romantisch die Liebe bei Vladimir Nabokov klingt: „Du bist mein Schicksal“, so neusachlich gibt sie sich bei Kästner: „Die Liebe ist ein Zeitvertreib, man gebraucht dazu den Unterleib.“
Da wird die Mona Lisa aus dem Louvre gestohlen und in einem billigen Hotelzimmer in Florenz wieder aufgefunden, da verbringt Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand, der einen Präventivkrieg gegen Serbien ablehnt, die Zeit beim Spiel mit seiner Modelleisenbahn. Marcel Duchamps macht ein Vorderrad auf einem Schemel zu einem Kunstwerk. Die Moderne ist geboren. Und Thomas Mann überhebt sich finanziell beim Bau seiner Münchner Villa und setzt der zu Ende gehenden Ära mit seinem „Zauberberg“ ein literarisches Denkmal.
In „Die Liebe in Zeiten des Hasses“ lässt uns Illies die Zwischenkriegszeit als Periode der großen Liebesgeschichten, ungezügelter Erotik und leidender Herzen erleben. So romantisch die Liebe bei Vladimir Nabokov für seine Vera klingt: „Du bist mein Schicksal“, so neusachlich gibt sie sich in Kästners Fabian: „Die Liebe ist ein Zeitvertreib, man gebraucht dazu den Unterleib.“
Großartig auch der Auftakt des Buches: Da wartet der junge Philosoph Jean Paul Sartre verliebt in einem Pariser Café auf die blutjunge Simone de Beauvoir. An ihrer Stelle erscheint ihre Schwester, um sie zu entschuldigen. Auf die Frage, wie sie ihn erkannte, antwortet sie, ihre Schwester habe ihr aufgetragen, den Mann anzusprechen, der klein und sehr hässlich sei. Was folgt, ist die spektakuläre Liebesgeschichte zwischen dem Existentialisten Sartre und der Feministin Beauvoir. All die Liebe wird jedoch zunehmend überschattet vom Hass zunehmender politischen Polarisierung und ideologischer Radikalisierung. Nationalismus, Antisemitismus, Flucht, Gewalt und Terror beenden jene Jahre der Libertinage, Boheme und Lebenslust. Wenn Sie mehr über eine zerrissene Zeit zwischen Liebe, Lust, Kunst und Angst, Grauen und Tod erfahren wollen, dann ist auch dieses Buch überaus lesenswert.
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Du hast einen Tipp für die VN Redaktion? Schicke uns jetzt Hinweise und Bilder an redaktion@vn.at.
Kommentar