Viereckige Seifenblasen und Tiere, die in die Stadt zum Anschaffen fahren

Kultur / 21.01.2022 • 22:00 Uhr / 7 Minuten Lesezeit
Viereckige Seifenblasen und Tiere, die in die Stadt zum Anschaffen fahren
Reinold Amann bewegt sich mit seiner künstlerisch-naturwissenschaftlichen Arbeit zwischen Chaos und Ordnung. ag

Reinold Amann und Marko Zink eröffnen das Ausstellungsjahr im Künstlerhaus Bregenz

BREGENZ Mit einem prall gefüllten Haus und gleich mehreren Ausstellungen startet die Berufsvereinigung ins neue Ausstellungsjahr. Während sich Reinold Amann mit seiner künstlerisch-naturwissenschaftlichen Arbeit zwischen Chaos und Ordnung bewegt, konstruiert und inszeniert der Fotograf Marko Zink die Wirklichkeit neu. Das brandneue Ausstellungsformat „… im Erdgeschoss“ stellt dagegen nicht die klassische Ausstellung, sondern das Prozesshafte, das Unfertige, nicht Realisierte oder Verworfene in den Fokus. Den Anfang machen die „End of Season Sculptures“ von Roland Adlassnigg.

Ordnung ist nicht nur das halbe Leben, sondern auch die halbe Kunst. Davon ist zumindest Reinold Amann überzeugt und erforscht in seiner Bild- und Textsprache in unterschiedlichen Medien den Prozess, wie aus dem Chaos als Ursprung schließlich Ordnung und Strukturen erwuchsen. Wie facettenreich die Welt „Zwischen Ordnung und Chaos“ ist, wie berechenbare Gesetzmäßigkeiten plötzlich doch unvorhersehbar werden, zeigt der 1954 in Feldkirch geborene, in Röns lebende Künstler auf. Sein zwischen wissenschaftlichen Untersuchungen und „zusammengebastelten“ (Amann), dynamisch-mechanischen Apparaturen mäanderndes Werk speist sich aus den vielseitigen Interessen des Künstlers. Mit Physik und Mathematik befasst, sammelt er als großer Biologie-Fan seit 40 Jahren für das Wiener Naturhistorische Museum in aller Welt Kleinsäuger wie Mäuse, stieg jüngst in die wundersame, digitale Welt der Pixel ein und verarbeitet sogar Barbie-Puppen samt einem über 100-jährigen Ur-Ken, mit dem bereits seine Mutter gespielt hat, zu einer Inszenierung des weiblichen Daseins zwischen Küche und Kirche. Seine mithilfe von Pendeln und fotografischen Mitteln festgehaltenen Lichtspuren liefern Bilder von eigenartiger Schönheit zwischen Konstruktion und Zufall, Standort- und Perspektivenwechsel fordern den Blick heraus und verändern die Dinge eklatant. Von besonderem Zauber ist aber das Objekt „Platons Erbe“, das mittels Rotation und verschiedenen geometrischen, in Seifenlauge getauchten Drahtkörpern schillernde Seifenblasen erzeugt. Eigentlich sind es vielmehr hauchdünne Seifenhäute, die sich aufspannen – oder hätten Sie gewusst, dass es auch viereckige Seifenblasen gibt?

 Marko Zink konstruiert und inszeniert die Wirklichkeit neu.
Marko Zink konstruiert und inszeniert die Wirklichkeit neu.

Schaut da ein Stück behaarte Extremität aus dem Kühlschrank? Eigentlich unmöglich. Kein normaler, erwachsener Mensch passt in einen Kühlschrank oder einen Geschirrspüler. Und selbst wenn, würde niemand freiwillig hineinkriechen. Schon gar nicht in einer leerstehenden, fremden Wohnung. Einer, der es doch getan hat, ist Marko Zink. „In der Maschine“ übertitelt er jene Fotografien, die heimlich, nach Wohnungsbesichtigungen entstanden sind, und nun gemeinsam mit einer Porzellanmaske, einem Reiseplattenspieler und einer Vinyltonbildpostkarte eine Inszenierung bilden. Zu hören ist die Stimme der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, die einen eigenen, zu Zinks Werkreihe geschriebenen Text spricht. Auch für seine jüngsten Serien kocht der 1975 in Gaschurn geborene, in Wien lebende Fotograf sein analoges Filmmaterial ein, um damit besonders malerische Effekte zu erzeugen. Masken, Tiere, der Wald, das zutiefst Gekünstelte im Natürlichen, das Agieren zwischen scheuem Verstecken und provokantem Vorzeigen: Die aktuellen Arbeiten entwickeln Themen und Motive weiter, wenn der Künstler in der Reihe „Als die Tiere den Wald verließen“ der Frage nachgeht, was einer ihres Umfeldes beraubten Kreatur noch bleibt, außer in die Stadt zum Anschaffen zu fahren. Die wohl persönlichste Arbeit des Künstlers ist die Installation „Morgenstern der finstern Nacht“ in der Blackbox. Zentraler Blickfang an der Stirnseite des Raumes ist eine Fotografie, die den Künstler in Maske und traditionell gekleidet am Montafonertisch sitzend, der lange Jahre das Zentrum der Familie war, zeigt. Die Aufnahme ist unmittelbar vor dem Verlassen des verkauften Elternhauses entstanden und wird an den Seitenwänden flankiert von paarweise, wie Schmetterlingsflügel angeordneten, gespiegelten Handspiegeldrucken, die das Thema Reflexion und Abbild aufgreifen.

 Die „End of Season Sculptures“ des Rankweiler Bildhauers Roland Adlassnigg verströmen etwas wie in der Kunstszene normalerweise wenig goutierte Ausverkaufsstimmung.
Die „End of Season Sculptures“ des Rankweiler Bildhauers Roland Adlassnigg verströmen etwas wie in der Kunstszene normalerweise wenig goutierte Ausverkaufsstimmung.

Was kostet ein Kilo Kunst? Premiere des neuen Ausstellungsformats mit Roland Adlassnigg
„… im Erdgeschoss“ heißt es künftig im Zwei-Wochen-Takt und das neue weniger produkt- als vielmehr prozesshafte Ausstellungsformat soll abseits der klassischen Artefakt-Präsentation Raum sein für Unfertiges, Verworfenes, nie Realisiertes und den Rahmen zum künstlerisch kollegialen Austausch bieten. Soweit das Konzept, das sich in der Premiere mit Roland Adlassnigg, Jahrgang 1972, schon einmal gut und humorig anlässt. Die „End of Season Sculptures“ des Rankweiler Bildhauers verströmen etwas wie (in der Kunstszene normalerweise wenig goutierte) Ausverkaufsstimmung, die durch das Kartonplakat „Kunst pro Kilo 9,90 Euro“ noch angeheizt wird. Ein bisschen Schelm sitzt ihm doch im Nacken, aber Roland Adlassnigg hat für die Ausstellung, die es irgendwie dann doch wieder geworden ist, ordentlich gearbeitet und ge-upcycelt. Aus den Resten und Materialien, die sich im letzten Jahr in seinem Atelier angesammelt haben, hat der Bildhauer neue Skulpturen geschaffen, geschweißt, geklebt, geschäumt, gehämmert und quasi die Negativform der „regulären“ Werke produziert. Dass einiges an Material zusammenkommt, liegt daran, dass Adlassnigg künstlerisch nicht nur in eigener Sache tätig ist, sondern mit seinem „Atelier für außergewöhnliche Angelegenheiten“ auch im Auftrag anderer Künstler und Projekte arbeitet. Sein wohl prominentester „Kunde“ dürfte Erwin Wurm sein, aber auch Bühnenbilder für Theaterproduktionen, oder besondere Ausstellungsaufbauten zählen zum Repertoire. Die gezeigten, ungewöhnlichen Objektarrangements umfassen Coladosen, ausrangierte und ausgebeulte Lieblingshosen, starr vor Epoxyharz, eine Autotür mit der Aufschrift „Ich bin nicht dick“, „Arbeitsunfälle“ wie die aus der Hand gefallene und losgegangene Pistolenschaumdose, Notizen, Lieferscheine, Skizzen samt Flecken vom Kaffeetisch, Schuhe, die sich von ihrer Sohle getrennt haben, ein lädierter Arbeitsoverall, mit heißem Draht oder Motorsäge geschnittene Bilder ohne Inhalt (oder Rahmen ohne Bilder?) und etliches mehr. Und zu jedem Teil weiß der Künstler eine kleine Geschichte zu erzählen.

Ariane Grabher

Die Ausstellungen von Reinold Amann und Marko Zink sind im Künstlerhaus Palais Thurn und Taxis, Gallusstraße 10, Bregenz, bis zum 6. März 2022 zu sehen, „… im Erdgeschoss“ von Roland Adlassnigg bis zum 4. Februar, geöffnet Mi bis Sa von 14 bis 18 Uhr, sowie So und Feiertage von 11 bis 17 Uhr.