So machten die Wiener Symphoniker ihr Gastspiel zum Erfolg

Die Konzerte im pandemiebedingt schütter besetzten Festspielhaus waren etwas Besonderes.
BREGENZ Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren, wenn dieses Virus endlich das Weite gesucht hat, an dieses Konzert zurückerinnern. An ein Stück Musikkultur, das unter ganz besonderen Umständen zum künstlerisch fulminanten und emotional bewegenden Ereignis wurde.
Unter dem Diktat der Pandemie lieferten die Wiener Symphoniker ihr Meisterkonzert zweifach im jeweils halbleeren Saal ab, um die gewohnten 1000 Besucher zu erreichen. Ein kluger Schachzug des Bregenzer Kulturservice und des Orchesters, das ohne Zögern dieser Variante zugestimmt hat. Am Ende gab es nur Gewinner: Musiker, die spielen durften, Zuhörer, die das Konzert, wenn auch mit 2G-Regel und Maskenpflicht, erlebten.
Freilich herrscht im seltsam schütter besetzten Festspielhaus anstelle des sonst ausverkauften Saals eine gedrückte, fast gespenstische Atmosphäre, will zunächst noch nicht so recht Stimmung aufkommen. Aber daraus entwickelt sich bald so etwas wie ein schwer zu beschreibendes Gefühl der Solidarität im Zuschauerraum und auch zwischen Musikern und Publikum. Man ist rundum fest entschlossen, sich den Abend nicht verderben zu lassen und aus dieser eigentlich skurrilen Situation gemeinsam das Beste zu machen. In dem auf eine Stunde verkürzten Programm sind von der ursprünglichen Planung die beiden Schwerpunkte erhalten geblieben, Joseph Haydns duftige klassische Sinfonia Concertante und Modest Mussorgskis unverwüstliche Klangorgie „Bilder einer Ausstellung“. Mit solch scharfen Kontrasten wird das Konzert zur überaus attraktiven Leistungsschau des auf Österreichtournee befindlichen Festspielorchesters.

Auch die Symphoniker empfinden diesen Abend nicht als bloße Pflichtübung, sie legen in ihrer Verbundenheit mit Bregenz spürbar Herzblut ins Spiel. Nicht zuletzt, weil es gleich im ersten Werk darum geht, zu zeigen, mit welch großartigen Solisten dieses Orchester ausgestattet ist. Es hat durchaus seinen Reiz, wenn in Haydns einziger Sinfonia concertante Nr. 105 B-Dur vier von ihnen in einer kleinen Solistengruppe quasi vor den Vorhang geholt und dem großen Orchester als selbstständiger Klangkörper im Dialog und imitatorisch gegenübergestellt werden: Konzertmeister Anton Sorokow, Violine, sowie die Solopositionen im Orchester mit Christoph Stradner, Violoncello, Paul Kaiser, Oboe, und Patrick de Ritis, Fagott. Daraus entwickelt sich nun ein wahres Feuerwerk an Spiellaune und Übermut, aus Freude an der Schönheit von Haydns Erfindungsreichtum und den eingeflochtenen technischen Raffinessen, die das Ganze in ihrer Virtuosität und Brillanz erst so richtig spannend machen. Fest verankert ist dieses feinsinnige Musizieren beim eleganten neuen Chefdirigenten, dem Kolumbianer Andrès Orozco-Estrada (44), dessen Verbundenheit mit seinem Orchester seit dem Sommer noch deutlich intensiver geworden ist. Er zeigt sich hier als Meister im subtilen Umgang mit der Wiener Klassik, in der kammermusikalisch schlanken Orchesterbesetzung ist ihm der natürliche Fluss des gemeinsamen Musizierens ein besonderes Anliegen.

Ganz anders dann bei Mussorgskis Suite „Bilder einer Ausstellung“, diesem gewaltigen Orchesterporträt, wo der Maestro eine zweite, radikal veränderte Sicht seiner Dirigentenpersönlichkeit offenbart, in manchen Dingen fast das pure Gegenteil zur Gangart seines Vorgängers Philippe Jordan. Orozcos draufgängerisches Temperament, sein dynamisches Aufbegehren und eine gesunde Portion romantischer Leidenschaft fordern auch vom Orchester ein Höchstmaß an Einsatz. In seiner faszinierenden wienerischen Klangkultur erblühen der berühmte Seidenglanz der Streicher, das feine Holz und die satten Blech-Choräle. Es ist das ideale Outfit für diesen von Maurice Ravel mit französischer Raffinesse so plastisch und farbmächtig instrumentierten Klavierzyklus, der in abenteuerlichen Klangmischungen und leichten Verfremdungen als einziges, gewaltiges Gemälde von strahlender Wirkkraft ersteht. Das „Große Tor von Kiew“ als Vergrößerung des Promenade-Themas ins klanglich Unermessliche bringt die vom Publikum mit Spannung erwartete Apotheose und fast gleichzeitig einen Beifallsorkan. Die Zugabe ist ein wienerisch fideles Augenzwinkern in Zeiten wie diesen: die Schnellpolka „Ohne Sorgen“ von Josef Strauß. Fritz Jurmann