„Schwierig, aber notwendig“

Kultur / 09.03.2022 • 11:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
„Schwierig, aber notwendig“
Werner Bundschuh: “Zur Auseinandersetzung mit den Opfern gehört auch jene mit den Tätern.”  sams

Historiker Werner Bundschuh zum Stand der regionalen Zeitgeschichtsforschung.

Dornbirn, Bregenz Ein paar Jahre in der Biografie von DDr. Ferdinand Ulmer (1901-1974), Universitätsprofessor und -rektor in Innsbruck, Mitglied des Bundesrats und Leiter der Statistik im Amt der Vorarlberger Landesregierung, wurden lange Zeit verschwiegen. Warum? Der Historiker Werner Bundschuh klärt im Gespräch mit den VN auf: „Ulmer übernahm 1944 das Volkswirtschaftliche Institut der Reinhard-Heydrich-Stiftung, das Grundlagen zur Ermordung, Ausplünderung und Vertreibung der tschechischen Bevölkerung lieferte.“

Kein Einzelfall

Ferdinand Ulmer ist kein Einzelfall. Im Band „Menschenverächter. Vorarlberger Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus“, herausgegeben von Bundschuh, behandeln Historiker (darunter Meinrad Pichler, Harald Walser und Gernot Kiermayr) die Täterschaft einer Reihe von Personen aus Vorarlberg, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre Verbrechen meist gar nicht verantworten mussten, anstandslos wieder in die Gesellschaft eingegliedert wurden und/oder hohe Posten bekleideten. Der 17. Band der „Studien zur Geschichte und Gesellschaft Vorarlbergs“ der Vorarlberger Autoren Gesellschaft, wird zum 40-Jahr-Jubiläum der 1982 gegründeten Johann-August-Malin-Gesellschaft präsentiert.

Lücken in Schulbüchern

„Eine Ausbildung in Zeitgeschichte hat es gar nicht gegeben“, erinnert sich Werner Bundschuh (geb. 1951) an seine Anfänge als Lehrer in Vorarlberg. „Wir mussten auf Schulbücher zurückgreifen, die alle Lücken aufwiesen.“ Ausgeklammert bzw. verdrängt worden ist die Zeit des Nationalsozialismus und Austrofaschismus, wobei schon dieser Begriff verpönt war. Wenn es nicht so bezeichnend wäre, könnte man die Erzählung Bundschuhs als Anekdote abtun. Als er im Zusammenhang mit Dollfuß einmal als Junglehrer den Begriff auf die Tafel schreiben wollte, kam er nur bis Austrofa…. und wurde von einem älteren Kollegen belehrt, dass man diese Zeit in Vorarlberg „die andere Demokratie“ nenne, schließlich waren damit die Biografien von Otto Ender und Ulrich Ilg verknüpft.

„Unsere Forschungen haben dem wissenschaftlichen Diskurs standgehalten.“

Werner Bundschuh, Historiker

Die jungen Historiker gründeten eine unabhängige Lehrerinitiative und begannen parallel zu den Forschungen der österreichischen Geschichtswissenschaft die Landesgeschichte aufzuarbeiten. Und zwar kontinuierlich, wie Bundschuh nun betont, der, wie er es selbst artikuliert, damals als Junglehrer begann und nun wie seine Kollegen als Jungpensionist weiterarbeitet. Was die Mitglieder der Malin-Gesellschaft darlegten, die Liste der Veröffentlichungen ist lang, ist aber selbstverständlich auch in die Vermittlung, die Lehrerausbildung und -weiterbildung eingeflossen. Eine wichtige Funktion nimmt dabei, wie Bundschuh erklärt, auch das Programm von erinnern.at ein.

Werner Bundschuh, Harald Walser, Meinrad Pichler, Werner Dreier und die weiteren Historiker hatten in Vorarlberg allerdings enorm viel Gegenwind zu verkraften gehabt. „Die Haltung ,Wir haben damit nichts zu tun, gebt doch endlich Ruh‘ war leider weit verbreitet. Auch die politischen Parteien hatten mit der Arbeit der jungen Historiker keine Freude.“ Außerdem hat die Täterschaft viele Familienbiografien berührt. Bundschuh: „Da mussten schmerzliche Erfahrungen gemacht werden.“

Heftige Widerstände

Dass sich Österreich in der Opferrolle sah, habe bis über die Jahrtausendwende gewirkt. So dauerte es, wie Bundschuh ausführt, sehr lange, bis sich durchgesetzt hatte, dass zur Auseinandersetzung mit den Opfern jene mit den Tätern gehört, oder bis das Thema Zwangsarbeiter in Vorarlberg an die Öffentlichkeit gebracht werden konnte. „Die Illwerke AG wollte von ihrer Verstrickung in die Zwangsarbeit nichts wissen.“ Die Widerstände seien heftig gewesen, aber schließlich hatten die Historikerinnen und Historiker genau gearbeitet. „Nach vier Jahrzehnten können wir sagen, unsere Forschungen haben dem wissenschaftlichen Diskurs standgehalten.“

Schon Meinrad Pichler hatte in einem Interview mit den VN geäußert, dass die Zeit des Austrofaschismus in der Regionalforschung noch einigermaßen brach liegt. Obwohl Peter Melichar vor einigen Jahren ein Werk zu Otto Ender publiziert hatte, sollte, wie Bundschuh ergänzt, das System an sich noch beleuchtet werden. Junge Historikerinnen und Historiker brauchen somit nicht erst lange nach Themen zu suchen. „Die Auseinandersetzung mit der Zeit ist schwierig, aber notwendig.“ Darüber hinaus will Werner Bundschuh aber nicht unerwähnt lassen, dass es regionale Initiativen bzw. Museen wie beispielsweise jene im Klostertal oder Egg sind, die der Zeitgeschichte viel Platz einräumen und Themen für das Publikum aufarbeiten.

Buchpräsentation “Menschenverächter. Vorarlberger als Akteure bei Entrechtung und Vernichtung im Nationalsozialismus”, 9. März, 19 Uhr, Vorarlberg Museum Bregenz.