Die Zumutung einer sich autoritär gebärdenden Religion

“Jephtha” erfährt als Produktion am Landestheater große Zustimmung, wirft aber auch Fragen auf.
Bregenz Schön, wenn man nicht zu revidieren braucht, was vor einem guten Jahr über „Jephtha“ kurz geschrieben wurde. Damals konnte das Vorarlberger Landestheater in Kooperation mit dem Symphonieorchester das hier zur Oper mutierte Oratorium von Georg Friedrich Händel zwar produzieren, Aufführungen vor Publikum waren angesichts der Pandemie aber nicht möglich. Mit einem negativen Testnachweis und Masken versehen sowie in gut zwanzig Meter Abstand zueinander durften einige Medienvertreter die Generalprobe besuchen und diese als musikalisches Erlebnis verbuchen. Was uns damals bedrückte, ist allerdings ein Klacks gegen Meldungen vom Weltgeschehen, die nun die Produktion überschatten. Wenn es bloß wahr wäre, dass Musik Menschen verbindet, aber vermutlich hat man zur Uraufführung – im Jahr 1752 in London – mitunter auch schon ähnlich gedacht und der Hoffnung Raum gegeben.

Das Verhältnis von Staat und Kirche war damals ein anderes als jetzt nach der Überwindung absolutistischer Strukturen in der westlichen Welt. Die Geschichte von Jephtha (aus dem biblischen Buch der Richter), der für einen angeblichen Gottesbeistand in einer Schlacht seine Tochter opferte, erschien in einer Zeit, in der sich Menschen schon in Gefahr brachten, wenn sie es wagten, ihrem Verstand, ihrem Gewissen oder ihrem Gefühl für Barmherzigkeit zu folgen, vielleicht nicht gar so fremd. Jedenfalls betätigte sich der Librettist Thomas Morell etwa nicht als Vorläufer der Aufklärung, er schickte lediglich einen Engel ins Geschehen, der bezeugt, dass der Schwur des Vaters auch ungebrochen bleibt, wenn er seine Tochter Iphis nicht ermordet, sondern nur ins Kloster steckt.
Was tut man mit so einem Stoff bzw. mit der Zumutung einer sich autoritär gebärdenden Religion im 21. Jahrhundert? Abgesehen davon, dass sich Orchester und Chöre für konzertante Aufführungen dieses Spätwerks von Händel entscheiden, in dem die zum Ausdruck kommenden Gefühlsspektren bereits differenziert instrumentiert sind, gibt es angesichts der Dimension der Hauptfigur hie und da szenische Umsetzungen.

Auf die Verzweiflung des Vaters, dessen Vorsatz sich die Tochter umgehend fügt, konzentriert sich auch Regisseur Stefan Otteni in Bregenz. Mit Michael Feyfar hat er einen Tenor, der mit erforderlich großem Stimmumfang in der Rolle geradezu aufgeht, absolut präsent ist und sich zugunsten der Charakterisierung auch immer wieder fein zurücknimmt. Ob es die Handlung wirklich unterstreicht, wenn er einmal mit einem „ich kann nicht mehr“ aussteigt, sei dahingestellt. Die gespielte Unterbrechung des musikalischen Ablaufs wirkt als didaktische Absicht ebenso albern wie die bei vollem Saallicht direkt ans Publikum gerichtete Frage, ob man denn halten muss, was man Gott versprochen hat. Zwei, drei Hände gehen nach oben, ein Teil dürfte sich wohl gefragt haben, ob die da vorne etwa nicht wissen, dass eine Antwort überhaupt an Gott zu glauben voraussetzt.
War da nicht noch etwas?
Gut, das Volk auf der Bühne ist heutig gewandet, zwar nicht exakt verortet, hat diesbezüglich aber wohl keine Wahl, will sie vielleicht auch nicht haben. Es wird viel gebetet und gefleht und wie schon nach der Generalprobe berichtet, hat das Durchgemachte allerdings keinen kathartischen Effekt. Man kniet vor dem Sockel, auf dem sich Jephtha in Diktatorenpose in Stellung bringt. Es ist – auch per Hinzufügung von literarischen Texten sowie Kriegsberichten – zwar viel angedeutet, dramaturgisch bleiben jedoch Aspekte offen. Da mögen die Schauspieler Maria Lisa Huber und Nico Raschner als zweifelnd fragende Kinder von Zebul noch so plausibel, oder Storgè, Jephthas Frau, in ihrer zeitweiligen Absicht dies alles einfach hinter sich zu lassen, noch so sympathisch wirken. Ausstatterin Ayse Gülsüm Özel hat mit einem blutüberströmten Antlitz oder ärmlichen Behausungen ein paar gut dechiffrierbare Videoprojektionen eingefügt und lässt auch den Engel gut nachvollziehbar nur als Abkömmling einer kindlichen Volksfrömmigkeit erscheinen, wenn ein substanzielles Gespräch über die Richtigkeit der Entscheidung Jephthas daneben szenisch aber unfokussiert bleibt, stellt sich vor allem die Frage: War da nicht doch noch etwas?
Fesselndes Klangbild
Musikalisch bleibt trotz der gekürzten Partitur nichts offen. Benjamin Lack hat einen Chor geschult, der in Präzision und – obwohl schlank besetzt – im Sound wie schon im letzten Jahr begeistert, und das Symphonieorchester Vorarlberg konnte unter dem Originalklangexperten Heinz Ferlesch seine historisch informierte Spielweise so ausbauen, dass ein farbenreiches, fesselndes Klangbild entsteht, das das Vokalensemble wunderschön einbezieht.
Neben dem erwähnten Michael Feyfar erweist sich auch Elisabeth Wimmer mit hoher Gewandtheit als Idealbesetzung für die Iphis. Annelie Sophie Müller (Storgè) ergänzt die hohe Qualität mit schönem Mezzo, Thomas Stimmel (Zebul) ist ein versierter Bass, der mit Kraft und Geschmeidigkeit überzeugt. James Hall (Hamor) wird am Ende als charakterstarker Countertenor bejubelt und Veronika Vetter (Engel) lässt ihren Sopran entsprechend aufblitzen.

Mit Händels „Jephtha“ hat das SOV, das jeweils ein Mal pro Jahr am Vorarlberger Landestheater und im Rahmen der Bregenzer Festspiele zum Opernorchester wird, eine weitere Ausweitung seines Repertoires unternommen, für die es am Premierenabend begeisternde Zustimmung erfahren hat.
Nächste Aufführung von “Jephtha” am 15. März, 19.30 Uhr, im Theater am Kornmarkt in Bregenz und weitere bis 3. April: landestheater.org

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