Starke Begegnung zwischen Bregenzer Festspielen und Wiener Burgtheater

„Geschlossene Gesellschaft“ von Sartre wird in dieser Besetzung auch im großen Festspielhaus zum dichten Kammerspiel.
Bregenz Dass die Situation bzw. das Setting gut nach Bregenz übertragbar ist, war nach der Premiere von „Geschlossene Gesellschaft“ des Philosophen Jean Paul Sartre (1905-1980) am 19. Februar dieses Jahres im Wiener Burgtheater (die VN berichteten) nicht zweifelsfrei zu behaupten. Gespielt wurde dort vor dem Vorhang, den eine bühnenhohe Ziegelwand verstellte, während sich das mit Schotter ausgelegte Podium bis in den Zuschauerraum erstreckte. Der Saal an der Ringstraße hat zwar beachtliche Ausmaße, aber in der Breite des selten für Sprechtheater verwendeten Festspielhauses können sich die vier Personen im 1944 uraufgeführten „theorisierenden Situationstheater“ schnell verlieren – vor allem, wenn sie bis über die zehnte Publikumsreihe hinauf zu agieren haben. Intendantin Elisabeth Sobotka dürfte bei der Festlegung des Programms mit diesem prägnanten Intro vor der eigentlichen Festspieleröffnung im Juli auf die starke Präsenz von Dörte Lyssewski (Inès Serrano), Regina Fritsch (Estelle Rigault) und Tobias Moretti (Joseph Garcin) vertraut haben, die die Dialoge auch über sehr weite Distanzen zu einem dichten Kammerspiel bündeln, dem nun auch in Bregenz viel Publikumsjubel zuteil wurde. Ein zum Bildungskanon zählendes Werk in derlei griffiger Umsetzung zu wählen – Chapeau!

Der Grundkonflikt, den Martin Kusej mit seiner Inszenierung im einmal nicht dunkel werdenden, sondern gleißend hellen Publikumsraum provoziert, bleibt somit derselbe. Die zentrale These, die in dem Satz „Die Hölle, das sind die anderen“ konzentriert wird, kippt bildlich in „Die Hölle, das sind wir alle“ und geht nicht ganz auf, weil es ja nicht die Publikumsmasse ist, die die Selbsttäuschung der drei in der Hölle gelandeten Menschen entlarven kann, sondern nur jene Person, mit der ein direkter Kontakt stattfindet.

Aber gut, schon nach der Wiener Premiere wurde erwähnt, dass der Klassiker seine Patina auch in der Übersetzung von Traugott König nicht leugnen kann, die sich aus der klobigen Konstruktion ergibt. Ein Widerstandsheuchler trifft auf eine intellektuelle, aber auch über Leichen gehende Lesbe und eine triebhafte Kindsmörderin. Die erbarmungslose Abhängigkeit voneinander kann sich dennoch herauskristallisieren und bleibt auch als Essenz erhalten, obwohl Sartre neben Zynismus und Perfidität zu plumpen, sexuell aufgeladenen Klischees greift.
Zeitlose Dringlichkeit
Lyssewski, Moretti, Fritsch und ein Höllenkellner, dem Christoph Luser diabolische Nonchalance angedeihen lässt, verleihen der Inszenierung eine zeitlose Dringlichkeit. Die Rezensentin bleibt dabei: Die Aktualität auf die Pandemie zu beziehen, was die Festspiele wiederholten, greift zu kurz. Das vor nahezu 80 Jahren im vor Nazis wimmelnden Paris entstandene Stück hat, was das Eingeschlossensein betrifft, einen Hintergrund jenseits der Vergleichbarkeit mit dem reduzierten Bewegungsradius von Covid-Infizierten oder von Menschen, die mit einem lockdownbedingten Mehr an Zeit für Reflexion nichts anzufangen wussten.
Hölle mit Gurkerl
Die Ausstatter Martin Zehetgruber und Werner Fritz ergänzen das Grau in Grau der Ziegelwand und der Kostüme mit einer Skulptur des österreichischen Bildhauers Erwin Wurm. Ein phallisch aufgerichtetes, überdimensioniertes Gurkerl hat einen ziemlich hohen Marktwert. Im modernen Inferno ist zwar nichts zu teuer, einander ertragen zu müssen, kann dennoch die Hölle sein. „Da sind wir also“, heißt es am Anfang beim Betreten des Raumes und am Ende wird es ewig so weitergehen.

Apropos: Wenn die im letzten Jahr gestartete Kooperation mit dem im Sommer in Salzburg präsenten Burgtheater eine Fortsetzung erfährt, wird es spannend zu beobachten sein, wie sich die Ausweitung der Bregenzer Festspielsaison in den Frühling entwickelt. Der nächste Festspielevent folgt jedenfalls am 12. Mai mit einer Familienoper, die Eröffnung am 20. Juli.
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