“Wagnis Barock“ zum Chorjubiläum

Kultur / 24.04.2022 • 20:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
"Wagnis Barock“ zum Chorjubiläum
Der Chor Vocale Neuburg und das Barockorchester Concerto Stella Matutina unter der Leitung von Oskar Egle. Fritz Jurmann

Das Jubiläumskonzert 40 Jahre Vocale Neuburg hinterließ einen zwiespältigen Eindruck.

GÖTZIS Ein durchaus gangbarer Weg zum 40-Jahr-Jubiläum, den der renommierte Kammerchor Vocale Neuburg in zwei mit viel Beifall aufgenommenen Konzerten am Wochenende in der Kulturbühne AmBach gewagt hat:

Einmal den ganzen Ballast des bisher gepflegten Repertoires mit aufregend aktuellen Chorsätzen und Romantik über Bord werfen, damit seine Vielseitigkeit unter Beweis stellen und mit dem Schlachtruf „Barock pur!“ in neues Terrain vorstoßen. Warum also nicht sich einen Abend lang ganz diesem bisher vernachlässigten Bereich widmen? Hört sich einfach an, ist es aber nicht. Auch wenn nicht wie die Chor-Mitbewerber im Land gleich mit den großen Kalibern dieser Sparte aufgetrumpft wird, hat gerade Bach auch in den komplexen Chorsätzen seiner kleineren Werke durchaus seine Tücken.

Vielleicht war es auch von Gründer und Chorguru Oskar Egle keine so gute Idee, seine mittlerweile auf 45 Mitglieder angewachsene Truppe beim „Wagnis Barock“ gleich mit Bachs berühmter, höchst anspruchsvoller fünfstimmiger Chor-Motette „Jesu, meine Freude“ mit ihrer extremen Polyphonie ins Rennen zu schicken. Da vermisst man ausgerechnet zum Jubiläum gleich jenen geschlossenen Chorklang, den man als Marke von „Vocale“ in all den Jahren schätzen gelernt hat. Alles wirkt bemüht und verkrampft statt frei, die Einsätze kommen nur zögerlich, die Intonation steht auf wackeligen Beinen, die Köpfe hängen tief in den Noten. Mag sein, dass auch die letzten Corona-Ausläufer noch ein Probenmanko verursacht haben oder die Sänger einfach einen schlechten Tag hatten, jedenfalls wirkt der Chor in diesem Moment mit diesem Werk eindeutig überfordert. Ein Eindruck, mit dem man zerknirscht in die Pause geht.

Vielleicht gab es da wie beim Fußball in der Halbzeit durch Trainer „Ossi“, wie ihn die Seinen nennen, eine Kabinenpredigt, die sich gewaschen hat. Jedenfalls zeigt sich der Chor im zweiten Teil wie ausgewechselt, ist in der großen, festlichen Missa Nr. 9 in D von Johann David Heinichen (1683–1729) in seiner gewohnten Form. Nun ist Heinichen eben nicht Bach, sondern ein Dresdner Kleinmeister, der aber auch in einfacherer Schreibweise schöne Effekte und eine gläubig-ansprechende Vertonung des lateinischen Ordinariums zustande bringt, die dem Chor weit besser liegt. Glanzpunkte sind das berührende „Et incarnatus est“, die „Hosanna“-Fuge und die breit angelegte Friedensbitte im „Agnus“, und da findet man nun auch alle guten Eigenschaften der barocken Chortradition wie Schlankheit, Beweglichkeit der Stimmen und Transparenz des Klanges. Auch Oskar Egle ist hier in seinem Element, disponiert und modelliert seinen Chor flexibel, sorgt für klare Diktion und lässt auch der heimischen Barock-Spezialistentruppe „Concerto Stella Matutina“ auf alten Instrumenten breiten Raum für ihre Begleitung im festgefügten Continuo, den silbernen Streichern, dem glitzernden Holz und den doppelt besetzten Naturhörnern und -trompeten zur klanglichen Prachtentfaltung. Als fabelhafter Konzertmeister erweist sich der Geiger David Drabek, im ersten Satz eines einleitenden Heinichen-Konzertes auch mit solistischen Qualitäten.

Mezzosopranistin Lea Elisabeth Müller.
Mezzosopranistin Lea Elisabeth Müller.

Beim Solistenquartett ist der Covid-bedingte Ausfall der heimischen Sopranistin Miriam Feuersinger zu beklagen. Die Tirolerin Maria Erlacher ist insofern ein idealer Ersatz, als ihretwegen nichts am vorgesehenen Programm geändert werden muss. In ihrer gesanglichen Leistung hätte man sich, in Anpassung an das authentisch musizierende Ensemble, etwas weniger Vibrato gewünscht. Im Vorfeld bewältigt sie die beiden zunächst Feuersinger zugedachten Bach-Arien mit Anstand, vor allem in der zweiten mit lebendigen Koloraturen und jubelnder Überzeugung. In der Messe beschert sie im „Agnus“-Duett zusammen mit der heimischen Mezzosopranistin Lea Elisabeth Müller eindrucksvolle Momente, Müller ist die große solistische „Benedictus“-Arie zugedacht, die sie mit Wärme, Ausdruckskraft und nobler Zurückhaltung erfüllt. Mit einem kostbar klaren „Evangelisten-Tenor“ trumpft der Schweizer David Munderloh auf, der Bass Stefan Zenkl gibt dem „Crucifixus“ profunde Konturen.

Fritz Jurmann

Rundfunksendung: 23. Mai, 21.00 Uhr, Radio Vorarlberg

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