Schubert war ein hochbegabter Teenager

Kultur / 01.05.2022 • 19:38 Uhr / 6 Minuten Lesezeit
Tenor Christoph Prégardien mit dem Pianisten Julius Drake.
Tenor Christoph Prégardien mit dem Pianisten Julius Drake.

Fulminanter Start eines besonderen Schubertiade-Projekts mit dem Quatuor Modigliani.

Hohenems Es ist Schubertiade-Zeit in Hohenems. Der Markus-Sittikus-Saal ist wieder Brennpunkt für Rang und Namen der internationalen Musikszene. So wie Amaury Coeytaux, Loic Rio, Laurent Marfaing und Francois Kieffer. Zusammen sind sie das Quatuor Modigliani und starteten ein besonderes Musikprojekt. Die Musiker werden in der Schubertiade-Saison 2022 alle 15 Streichquartette Schuberts zur Aufführung bringen. Fünf Konzerte sind geplant und wenn sie halten, was das erste bereits eingelöst hat – wovon auszugehen ist –, dann gibt es nur eine Empfehlung: hingehen.

Schuberts Streichquartette verdichten sein gesamtes Schaffen brennglasartig. Von den klassischen Anfängen bis hin zu Romantischem fächern sie sich auf. Nun könnte man so einen Zyklus ja rein theoretisch chronologisch anlegen. Vielmehr nutzen die Musiker des Quatuor Modigliani die Programmierung ihrer Konzerte aber bewusst, um Kontraste zu schaffen.

Zunächst begegnet man Franz Schubert als Teenager. Man trifft mit dem Streichquartett g-moll/B-Dur, D18, den 13-jährigen, mit dem Streichquartett C-Dur, D46, den 16-jährigen Schubert. Natürlich, im Kontrast zu späteren Werken wirkt das erste vielleicht schlicht, scheint es manchmal, als verarbeite Schubert in jedem der vier Sätze immer wieder dasselbe Thema – und so ist es ja auch in gewisser Weise. Manchmal getragen, manchmal leichtfüßig tänzelnd wie im zweiten Satz, während der vierte alle roten Fäden zu einem großen Ganzen verwebt. Durch die scheinbare Schlichtheit schimmert bereits der spätere Schubert durch.

Ein paar Jahre später bringt Schubert in nur fünf Tagen das Streichquartett C-Dur, D 46, zu Papier. Es gilt bis heute als eines der ausgewogensten. Die Harmonie, die Balance des Gesamten zeigt sich hier in einer unaufgeregten Selbstverständlichkeit, die nahe an die Perfektion heranreicht.

Der Reiz dieses Schubertiade-Konzerts lag vor allem im Kontrastieren dieser frühen Werke mit dem Streichquintett im zweiten Teil. Hier realisiert Schubert einen klugen Kunstgriff. Anstatt dass er wie üblich die Violine bzw. die Bratsche aufdoppelt, führt er ein zweites Cello ein (Victor Julien-Laferrière ergänzt das Quatuor Modigliani perfekt). So hält ein Cello den Bass, während es dadurch das andere als Melodieinstrument freispielt.

Hier gilt es, sich einfach tragen zu lassen von der berückenden Schönheit der Musik, von der immer drängender werdenden Komposition, die das Melancholische nie vergisst. Dass es dafür Standing Ovations gab, verwunderte nicht.

„Schwanengesang“

Am Abend dann der Tenor Christoph Prégardien und Julius Drake am Klavier. Zwei „alte Bekannte“ des Schubertiade-Publikums, was ja an sich schon ein Qualitätsmerkmal ist. Auch sie setzen auf den Kontrast als Stilmittel. Auf dem Programm steht Schuberts „Schwanengesang“, jene Sammlung an Liedern, die erst posthum erschienen und nach Gedichten von Ludwig Rellstab und Heinrich Heine geschrieben wurden. Während die Vertonungen der Rellstab-Gedichte einen stilistisch sehr retrospektiven Schubert zeigen, schlagen die Heine-Lieder eine ganz andere Tonart an. Hier weist Schubert über seine Zeit hinaus, überwindet sich in gewisser Weise selbst. Dem allen stellen Drake und Prégardien noch Schumanns Heine-Liederkreis zur Seite. Das heißt, man hat es hier nun mit einem Liederabend zu tun, der Schubert in seiner Zerrissenheit zeigt. Gleichzeitig lassen sich Drake und Prégardien aber auch auf das Experiment ein, zu zeigen, wie unterschiedlich die Beschäftigung mit dem Werk ein und desselben Dichters Gestalt annehmen kann.

Heine, der wie kaum ein anderer die Untergangsstimmung seiner Zeit in Worte fasste, spiegelt in gewisser Weise auch die heutige Gegenwart. Krieg, Leid, Tod – oder wie er es in einem Gedicht sagen lässt: „Ich unglücksel’ger Atlas. Die ganze Welt der Schmerzen muss ich tragen.“ In diese Stimmung hinein komponieren Schumann und Schubert. Bei Schubert klafft die Dramatik der Welt in seinen Tonlandschaften auf. Bei Schumann zeigt sich die Wunde im großen Kontrast, in dem die düsteren Worte zu den doch oft lieblichen Melodien stehen. Als Generalthema über allem aber steht die Liebe, die als einzige Macht, die Kraft hat, die Welt in ihren Angeln zu halten. Das geben Drake und Prégardien ihren Zuhörern zu Beginn mit auf den Weg, in dem sie die Schubert-Lieder „An die Leier“ und „Herbst“ den Liederzyklen voranstellen.

Drake ist Prégardien der perfekte Begleiter, der die Momente, in denen sich die Stimme des Klaviers in den Vordergrund bewegt, nützt und dann auch wieder begleitend an die Seite des Sängers stellt. Prégardien ist wie nur wenige den Herausforderungen gewachsen, die Schubert seinen Interpreten hier aufgibt – vom leisen Flüstern bis zum verzweifelten Aufschrei.

Das Quatour Modigliani bringt heuer bei der Schubertiade all 15 Streichquartette Schuberts zur Aufführung. schubertiade
Das Quatour Modigliani bringt heuer bei der Schubertiade all
15 Streichquartette Schuberts zur Aufführung. schubertiade

Hörfunkausstrahlung des Konzerts des Quatuor Modigliani, 13. Mai, 19.30 Uhr, Ö1. Weitere Konzerte bis 3. Mai: schubertiade.at