Aus für das Patriarchat und Grün in die Städte

Kultur / 06.05.2022 • 17:23 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
Die KnochenleserJakob RossSuhrkamp373 Seiten

Die Knochenleser

Jakob Ross

Suhrkamp

373 Seiten

Das Aufzeigen überholter Gesellschaftsformen und städtebaulicher Maßnahmen kann auch Thema in der Belletristik sein.

Romane Jakob Ross legt einen knochentrockenen Kriminalroman vor, mit dem Titel „Die Knochenleser“. Die Geschichte spielt auf Camoha, einer überschaubaren Insel, auf der mehr Verbrechen passieren, als aufgeklärt werden. Detective Superintendent Chilman zieht die Schrauben an und stellt eine schlagkräftige Truppe auf die Beine: Mit Malan und Digger holt er zwei gewiefte Typen von der Straße und stellt sie für spezielle Fälle ein. Dazu schickt er die beiden in Ausbildungsmodule. Malan wird zu einer Schulung zum Umgang mit Waffen aller Art im CIA geschickt, Digger kommt nach London, um als Forensiker ausgebildet zu werden. So hat sich der Autor zwei Charaktere zurechtgerichtet, Malan ist der Mann fürs Grobe, Digger hingegen eher der Feinfühlige, der Knochenleser also, obgleich der Roman eigentlich kein Forensiker-Krimi à la Kathy Reich ist. Die Forensik bleibt eher ein Joker, der bedient wird, um die Handlung zu beschleunigen. Auf alle Fälle hilft die Ausbildung ihm, nach den Überresten seiner Mutter zu suchen, die nach einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen erschossen wurde. Es sind eher die intuitiven Entscheidungen, zu denen sich Digger durchringt, die dem Roman eine gewisse Tiefe verleihen. Dazu drängt bei Detective Superintendent Chilman die Zeit. Er steht kurz vor der Rente und beißt sich bei einem Fall die Zähne aus. Seit einiger Zeit ist Nathan verschwunden, ein pubertierender Jugendlicher, der plötzlich nicht mehr nach Hause gekommen ist.

Das Karibik-Patriachat

Für die Karibikinsel ist das nichts Außergewöhnliches, da viele Jugendliche auf eine reichere Insel abwandern oder als illegale Immigranten in den USA ihr Glück versuchen wollen. Autor Jakob Ross vertieft hier das Thema: In Schwellenländern passiert eben auch viel Unvorstellbares mit Jugendlichen. Nachdem seit der Versetzung in den Ruhestand der Fall von den beiden Ermittlern auf die lange Bank geschoben wird, taucht plötzlich eine gewisse Miss Stanislaus auf, die mit Hilfe der beiden den Fall vorantreiben soll. Miss Stanislaus ist eine attraktive Erscheinung, die auch besondere Fähigkeiten zu besitzen scheint, zumindest auffallend viel über die beiden Kollegen weiß. Der Autor bringt das nächste gesellschaftliche Problem spielend in den Roman, nämlich, dass in diesen Staaten imgrunde ein Patriachat gelebt wird und Gewalt gegen Frauen auf der Tagesordnung steht. Fahrt nimmt die Story auf, als dann noch die ortsansässige Kirche einen Mord zu verkünden hat, in den auch Miss Stanislaus verwickelt ist. Dazu versucht Übersetzerin Karin Diemerling durch einen lesbaren Slang die Story noch mehr in der Karibik zu verorten.

Die grüne Lunge einer Stadt

Der in New York lebende englische Autor Jonathan Lee legt einen historischen Roman vor. Es geht um nicht weniger als die grüne Lunge der Stadt, die Städteplaner Andrew Green erschaffen hat, der wie kein anderer das Bild der Stadt prägte und absurder Weise kaum zu Würdigungen kommt. Dem Titel „Der große Fehler“ liegt Greens Tod zu Grunde, der mit 83 Jahren erschossen wurde, eine Verwechslung, wie sich im Nachhinein herausstellt. In kleinen gut durchdachten Schritten erobert sich der Autor den Charakter des knorrigen Städteplaners und zugleich die Stadt New York, die er als „Kathedrale der Möglichkeiten, die niemals zur Ruhe komme“, beschreibt.

Gute Recherchearbeit und ein sehr engmaschiger Schreibstil machen den Roman zu einem Lesevergnügen.

Der große FehlerJonathan LeeDiogenes380 Seiten

Der große Fehler

Jonathan Lee

Diogenes

380 Seiten