Drag Queens und reine Klangmagie: Auch so geht Oper heute

Oksana Lyniv und Bastian Kraft erweitern mit “Rusalka” das Genre.
Stuttgart Dem alten Märchen ebenso gerecht werden wie der Psychologie, die der Handlung innewohnt, Meerjungfrauen, Wassermänner, einen Prinzen und einen Hofstaat auf der Bühne versammeln, fantastische Bilder zaubern, eine farbenreiche Klangwelt entfachen und dabei eine Gesamtaussage treffen, die absolut heutig ist – das gelingt nun mit der Neuproduktion von Dvoráks 1901 uraufgeführtem Werk „Rusalka“ am Stuttgarter Opernhaus.

Bastian Kraft, der bislang vor allem im Schauspielbereich reüssieren konnte, hat inszeniert, und mit Oksana Lyniv steht jene Dirigentin am Pult des Staatsorchesters, die als Assistentin von Kirill Petrenko und schließlich mit der musikalischen Leitung verschiedener Produktionen in München (wo Petrenko Generalmusikdirektor war, bevor er Chefdirigent der Berliner Philharmoniker wurde) sowie in Graz und Bayreuth einen steilen Aufstieg hinlegte. Ihre „Rusalka“ entwickelt sich zum klar strukturierten, spannungsgeladenen Gemälde aus Liedern, luziden musikalischen Motiven und hochdramatischen Ausbrüchen. Mehr noch, sie ergänzt und doppelt die Magie, die Bastian Kraft und seine Ausstatter Peter Baur und Jelena Miletic mit Spiegelungen und Videosequenzen erzeugen und die im Zusammenspiel von Sängern und Tänzern entsteht. Dass wir es in dieser Produktion dabei nicht mit Ballettsolisten zu tun haben, sondern mit Künstlern, die als Drag Queens auftreten, verleiht der Inszenierung eine besondere Note und gibt der Story vom Verlassen des ursprünglichen Lebensbereichs bzw. dem Wechseln der Identität einen aktuellen gesellschaftspolitischen Touch.
Ohne Tricks
Der Sopranistin Esther Dierkes (Rusalka) mit ihrer wunderbar elastischen Stimme wird mit Reflektra ein Künstler zur Seite gestellt, der neben der großartigen choreografischen Leistung die Gesangspartie derart gut imitiert, dass die auf Bühnen gelegentlich zu sehende Doppelung Sängerin/Tänzerin eine weitere Dimension erhält. Und das alles in plausibler Personenregie und ohne filmische Tricks. Bei der Hexe Jezibaba, der kraftvollen Katia Ledoux (mit Judy LaDivina) passiert dasselbe und beim Wassermann (Goran Juric hat einst auch als Mose in Bregenz überzeugt) wiederum.

Die Handlung ist bekannt, Rusalka will Mensch werden, verliert mit dem Fischschwanz aber auch die Stimme und wird mit dem geliebten Prinzen (David Junghoon Kim ist kompetent, bleibt aber blass), um den eine feurige Fürstin (großartig Allison Cook) buhlt, nicht glücklich. Der reuige Prinz verlangt den todbringenden Kuss und Rusalka bugsiert sich ins Außenseitertum. Die neue Kernthematik um Geschlechterzuschreibung und Identität kommt im schillernden, suggestiven Bild so gut zum Tragen, dass die Premiere mit Jubel und Ovationen endete.

Nächste Aufführungen von “Rusalka” an der Staatsoper Stuttgart am 9. und 11. Juni und weitere: staatsoper-stuttgart.de
