Wo Jeanne d’Arc auf heutige Friedensaktivistinnen trifft

Kultur / 30.06.2022 • 21:40 Uhr / 1 Minuten Lesezeit
Das Portal der Stiftskirche bildet ein treffliches Bühnenbild. <span class="copyright">Theater/Bender</span>
Das Portal der Stiftskirche bildet ein treffliches Bühnenbild. Theater/Bender

Vor der St. Galler Stiftskirche gelingt eine eindrücklich aktualisierte Produktion von Verdis Oper “Giovanna d’Arco”.

St. Gallen, Bregenz Johanna von Orléans ist so gut wie allen bekannt. Dazu muss man nicht einmal nach Frankreich reisen, wo Jeanne d’Arc quasi allgegenwärtig ist. Die junge Frau, die sich einer Vision folgend tapfer auf der Seite des französischen Königs im Kampf gegen die Engländer schlug, wurde, als es dann nicht mehr so gut lief, zwischen den Kriegsparteien zerrieben. Im frauenverachtenden Milieu einer mächtigen Kirche wurde sie als Häretikerin verurteilt, im Gefängnis misshandelt und schließlich am 30. Mai 1431 in Rouen öffentlich verbrannt. 25 Jahre später erfolgte die Rehabilitation, freilich ohne dass diejenigen, die ihr Leid und ihren qualvollen Tod verursachten, zur Verantwortung gezogen wurden.

"Giovanna d'Arco" von Verdi in St. Gallen. <span class="copyright">Theater/Bender</span>
"Giovanna d'Arco" von Verdi in St. Gallen. Theater/Bender

Friedrich Schiller bereitet das Schicksal im 1801 uraufgeführten Drama „Die Jungfrau von Orléans“ etwas anders auf. Zu den bekanntesten der vielen Vertonungen zählen jene von Tschaikowski (uraufgeführt 1881 in St. Petersburg) und „Giovanna d’Arco“ von Giuseppe Verdi (uraufgeführt 1845 in Mailand). Diese Oper haben die St. Galler Festspiele für die diesjährige Produktion im Klosterhof vor der Stiftskirche gewählt. Bevor man sich damit befasst, dass dem Werk weniger Zugkraft wie anderen Verdi-Opern beschieden war, weil die hinzugefügte Liebesgeschichte zwischen Giovanna und dem König sowie das Verhalten des Vaters, der sein Kind der Hexerei bezichtigt, hier etwas hölzern gezeichnet sind, darf man sich auch in Erinnerung rufen, dass an sich die Tschaikowski-Oper gespielt werden sollte, worauf man aufgrund des Angriffskrieges von Russland in der Ukraine verzichtet hat.

Die Titelrolle ist doppelt besetzt, mit der Johanna als Kind und der Jugendlichen bzw. Erwachsenen. <span class="copyright">Theater/Bender</span>
Die Titelrolle ist doppelt besetzt, mit der Johanna als Kind und der Jugendlichen bzw. Erwachsenen. Theater/Bender

So wie Regisseurin Barbora Horáková nun den Stoff vor den Türmen der Stiftskirche, einem Werk des Bregenzerwälder Barockbaumeisters Peter Thumb, ausbreitet, hätte man ihr auch die mächtigeren Tschaikowski-Töne zumuten können, aber gut, das harte Schicksal der Johanna erfährt in St. Gallen eine Fokussierung, die weder den Krieg, noch die religiösen Fundamentalisten verharmlost und dabei einen stringenten Bogen vom 15. ins 21. Jahrhundert spannt. Das muss man erst einmal hinkriegen und wagen, selbst wenn man weiß, dass das Publikum hier bereits das Verdis düsteres Werk „I due Foscari“ beklatschte.

Friedensaktivistinnen

Horáková verdoppelt die Figur der Johanna, die wir als Kind erleben, das die gefügige Mädchenrolle nicht annehmen, sondern sich zur Wehr setzen will, und die als Heranwachsende, die in den Männern Begierden auslöst, dem Vater nicht geheuer ist. Viel Psychologie, Anklagen gegen den Krieg, der viel Leid erzeugt, während der Ruhm des Königs nur kurz eingeblendet bleibt, werden hinzugefügt und dennoch rundet sich das Bild, in dem Susanne Gschwender (Bühne) und Annemarie Bulla (Kostüme) mit sakraler Kunst und aktuellen Friedensaktivistinnen-Auftritten Akzente setzen. Im Freien funktioniert das, wenn es genau in jenen Momenten eingesetzt wird, in denen das Verdi-Werk in den romantischen Kitsch zu kippen droht.

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Modestas Pitrenas kann mit dem entfernt unter schützendem Dach spielenden Sinfonieorchester St. Gallen sowie den Chören (darunter auch der in Bregenz oft auftretende Prager Philharmonische Chor) auf eine ausgereifte Übertragungstechnik vertrauen und entwickelt auch ohne Ohrwurm spannungsreiche Klangbilder. Die Hauptrollen sind mehrfach – und wie man sich am zweiten Abend überzeugen konnte – gut besetzt. Marigona Qerkezi bewältigt die charakterlichen Herausforderungen berührend, Giorgiu Sturua gelingen als König starke Momente, auch wenn er im Gesamten etwas zu blass wirkt und Giuseppe Altomare macht den Konflikt des Giacomo begreifbar. Jeder Krieg erzeugt Opfer, vielfach sind es Kinder. Ein Werk wie diese Oper mit ihren durchaus fragwürdigen Aspekten als dahin gerichtete, vielschichtige Erzählung auf diesem Platz aufzubereiten – das ist äußerst bemerkenswert.

Weitere Aufführungen auf dem St. Galler Klosterhof vom 1. bis 8. Juli: st.galler-festspiele.ch

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