Ein Mann wie aus dem Bilderbuch

Wie der Bariton Andrè Schuen Brahms‘ „Schöne Magelone“ zum besonderen Ereignis machte.
HOHENEMS Es ist, wie seit Jahren üblich, kurz vor den Festspielen wieder Schubertiade-Zeit in Hohenems, ein knappes Intermezzo nur von fünf Konzerten, deren erstes am Donnerstag im Markus-Sittikus-Saal einen umwerfenden musikalischen Eindruck hinterließ. Der aus dem italienischen La Val in Südtirol stammende Bariton Andrè Schuen, heute international eine der ersten Adressen in seinem Fach, interpretierte den Zyklus „Die schöne Magelone“ von Johannes Brahms nach Gedichten von Ludwig Tieck. Der Sänger, der dem Festival seit 2016 die Treue hält und hier schon alle großen Schubertzyklen gesungen hat, übertraf mit seiner Interpretation alles, was man hier bisher von ihm gehört hat.
Das lag vielleicht auch an dem formalen Umstand, dass man sich für eine ganz auf den Kern dieser Reihe konzentrierte Fassung mit ihren 15 Liedern entschieden hatte und damit auf die meist übliche Rezitation eines Begleittextes der Handlung durch einen Sprecher zum besseren Verständnis des Zuhörers verzichtete. Dafür waren in früheren Aufführungen Größen wie der Schauspieler Gert Westphal aufgeboten. Brigitte Fassbaender dagegen rezitierte zwischen den Liedern diese Texte lieber gleich selbst. In Hohenems hat man die Handlung für die Zuhörer im Abendprogramm abgedruckt, sicher eine gangbare Möglichkeit.
Die alte provenzalische Liebesgeschichte aus dem 15. Jahrhundert handelt vom Grafen Peter und der neapolitanischen Königstochter Magelone. Sie verlieben sich ineinander und finden nach Trennung und vielen Abenteuern am Schluss doch wieder zusammen. Der romantische Dichter Ludwig Tieck modernisierte dies zu einem Volksmärchen, das Brahms 1869 als Vorlage für seinen einzigen Liederzyklus diente. Seine 15 Stimmungsbilder, die er Romanzen nannte, sind in ungewohnt orchestralem Klaviersatz überschwängliche romantische Kunstwerke und bringen variantenreich den Gefühlsausdruck und die Charaktere der Personen nahe.
Pferdegetrappel-Rhythmus
Und da braucht man bei Schuen nicht zweimal hinzuschauen: Der kraftvoll bärtige Typ aus Südtirol ist der personifizierte Ritter der Handlung, ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Und wenn er dazu gleich im ersten Lied „Keinen hat es noch gereut, der das Ross bestiegen“ auch noch sein heldisches Register auspackt und der in allen Details intensiv mitgestaltende Daniel Heide am Klavier dazu in den punktierten Pferdegetrappel-Rhythmus verfällt, ist die Illusion perfekt. Er wird fortan in einer klug dosierten Palette von Dynamik und Farben zum perfekten, wortdeutlichen, in seinen Gestaltungsmitteln unglaublich vielfältigen Erzähler dieser Geschichte. Der Gefühlsausdruck dieser Romanzen ist in diesen Momenten enorm stark, etwa das Wiegenlied „Ruhe, Süßliebchen, im Schatten“, das er seiner Geliebten mit unglaublicher Pianokultur ins Ohr flötet, oder vor allem das Schlusslied „Treue Liebe dauert lange“, eine unübertrefflich große Brahms-Melodie an klanglicher Intensität, Schönheit des Augenblicks, die einem als ewiger Liebesschwur die Tränen ins Gesicht treibt. Selten hat man so einhelligen Jubel vernommen wie bei Andrè Schuen. Der lässt sich nicht lumpen und setzt genau in dieser Stimmung noch zwei drauf: Schumanns „Du bist wie eine Blume“ und Brahms‘ Wiegenlied. Fritz Jurmann
Schubertiade Hohenems heute: 16 Uhr Kammerkonzert, 20 Uhr Liederabend; morgen 11 Uhr Klaviermatinee Aaron Pilsan
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