Die „Wandererfantasie“ als Markenzeichen

Der Dornbirner Pianist Aaron Pilsan konzertiert seit zehn Jahren bei der Schubertiade.
HOHENEMS Gut gelaunt, mit ausgebreiteten Armen begrüßt Aaron Pilsan an diesem heißen Sommersonntag sein Publikum, so, als wolle er sagen „Willkommen, liebe Freunde!“ Und sie sind wirklich alle gekommen, die Verwandten und Bekannten des gebürtigen Dornbirners, sein erster Lehrer an der dortigen Musikschule, Ivan Karpati, der Emser Bürgermeister Dieter Egger persönlich und der große Fankreis aus dem Bodenseeraum. Sie füllten verlässlich den gut klimatisierten Markus-Sittikus-Saal bis auf den letzten Platz, wie immer, wenn es ein Heimspiel mit dem inzwischen 27-jährigen Publikumsliebling zu erleben gibt.
Dabei war das diesmal eine eher unerwartete Begegnung, denn zunächst schien Pilsan entgegen langjähriger Gepflogenheiten heuer nicht im Programm der Schubertiade auf. So kam er erst durch den familiär bedingten Ausfall seiner Kollegin Khatia Buniatishvili als Einspringer zum Zug, aber auch diesmal nicht ohne die „Wandererfantasie“ von Franz Schubert, die er bereits bei seinem Debüt im Oktober 2012 hier zum ersten Mal gespielt hatte und die mittlerweile so etwas wie sein Markenzeichen wurde. Mit oder ohne „Wandererfantasie“ gehörte Pilsan fortan in fast jährlichen Auftritten, im Solo oder in Kammermusikbesetzungen vor allem mit seinem Freund, dem Vorarlberger Cellisten Kian Soltani, hier zur Stammformation.

Ein kleines Jubiläum also und eine gute Gelegenheit festzustellen, was sich in diesen zehn Jahren an Pilsan und seinem Umgang mit diesem Stück verändert hat. Rangierte seine Darbietung beim ersten Mal vielleicht noch riskant an den Grenzen seines Könnens, so gelingt ihm dieses extreme Virtuosenstück heute in atemberaubender Sicherheit sowohl im Gestalterischen wie im Technischen mit großer Überlegenheit, bis hin zur atemberaubend gehämmerten Schlussfuge. Mehr noch: Seine Entwicklung, seine Reife im Künstlerischen lässt sich auch am Programm ablesen. War die „Wandererfantasie“ bisher meist als Höhepunkt seiner Möglichkeiten am Schluss eines Konzertes angesetzt, so ist sie diesmal bloß das Stück vor der Pause.
Zum Ende aber hat Pilsan nun Musik von ganz anderem Kaliber ausgewählt, die als Spätwerk Schuberts über bloße Geläufigkeit hinaus weit mehr inhaltliche Tiefe vorgibt. Es ist jene c-Moll-Sonate D 958, die als erste der letzten drei aus seinem Todesjahr 1828 das pianistische Vermächtnis des Komponisten ausmachen. Zwar ist auch dort die „teuflische Tarantella“ des Schlusssatzes nicht von schlechten Eltern, es geht dabei aber um weit mehr, um die Größe und Substanz, um die Dramatik dieses Werkes, auch das Sangliche eines Lächelns unter Tränen im Andante oder das Stocken im Menuett, wenn er plötzlich nicht mehr weiterweiß. Beängstigende Merkmale für Schuberts zwiespältige Befindlichkeit, die Pilsan nun mit der Reife der großen Künstlerpersönlichkeit zum gewichtigen Finaleindruck hochstilisiert. Eine ernste Beethoven- und eine heitere Haydn-Sonate bilden dazu nur Staffage. Mit Beispielen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ als Zugaben verweist Aaron im Schlussjubel noch charmant auf seine aktuelle CD-Einspielung. Fritz Jurmann
Nächster Teil der Schubertiade: 20. – 28. August, Schwarzenberg, Angelika-Kauffmann-Saal
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