Wie sich Oper und Film bestens verbinden

Vasily Barkhatov inszeniert „Sibirien“ von Umberto Giordano beiden Bregenzer Festspielen.
Bregenz Das Bild ist großartig und bleibt lange in Erinnerung: Zur „Tannhäuser“-Ouvertüre ließ Regisseur Tobias Kratzer ein altes Vehikel durch die Waldlandschaft fahren. Die Kamera vermittelt die Vogelperspektive, zeigt aber auch die Sängerinnen und Sänger vor deren Auftritt auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses.
Nicht dass seine 2019 neuinszenierte Oper von Richard Wagner etwas mit „Sibirien“ von Umberto Giordano zu tun hätte, es ist die eingehende filmische Ästhetik, die vergleichbar wird, ohne dass sich Vasily Barkhatov, der heuer erstmals von den Bregenzer Festspielen engagiert wurde, an den ebenfalls noch jungen und sehr erfolgreichen Kollegen Tobias Kratzer angelehnt hätte.

Für die Inszenierung der eher selten gespielten Oper, die interessanterweise jüngst beim Festival Maggio Musicale Fiorentino eine Wiederentdeckung erfuhr, wählt Vasily Barkhatov filmische Sequenzen, um bei der von ihm bevorzugten historischen Einbettung der zentralen Liebesgeschichte keine Russlandklischees und keine Lagerfolklore bemühen zu müssen. Die Klischees werden im Film ironisch gebrochen, ohne dem ernsten Inhalt zu schaden.
Außergewöhnliche Liebesgeschichte
Die junge Stephana gerät an einen Zuhälter, führt in der St. Petersburger Gesellschaft ein angenehmes, aber eben unfreies Leben und folgt jenem Mann, den sie aufrichtig liebt, in ein sibirisches Straflager. Dort behauptet nicht nur sie sich gegen Unterstellungen, auch der Geliebte emanzipiert sich und wächst, wie Barkhatov in einem Gespräch mit den VN eindrücklich ausführte, über die üblichen Tenorrollen dieses Genre hinaus. Er akzeptiert ihr Vorleben, erkennt sie als Partnerin an und bittet um Verzeihung. Eine außergewöhnliche Beziehung, die zwar nicht lange dauern darf, durch Überblendungen von Vergangenheit und Gegenwart sowie den Blick auf ein sich zögerlich öffnendes Russland in den 1990er-Jahren aber enorme Dichte erfährt. Der Film zeigt nämlich eine ältere Dame, die von Italien nach Sibirien reist, um die Geschichte ihrer Familie zu erkunden.

Vasily Barkhatov verdeutlicht und verstärkt die Geschichte mit der Hinzufügung einer weiteren Figur und filmischen Sequenzen. Stiplovsek
Nachwirkung einer Gewalterfahrung
Neben der Auseinandersetzung mit Umberto Giordano, dem italienischen Komponisten und Vertreter des Verismus, der sich auch von ukrainischen Volksliedern inspirieren ließ und etwa einen A-capella-Chorgesang im Stil der russisch-orthodoxen Kirche einbaute, fokussiert Barkhatov zudem eine gesellschaftlich relevante Thematik. Er verweist auf die Nachwirkung einer Gewalterfahrung über mehrere Generationen.

Eine interessante Verbindung gibt es auch zu „Madame Butterfly“ auf der Seebühne. Ein Unfall des Autofreaks Puccini behinderte die geplante Uraufführung seines Werks an der Mailänder Scala, man disponierte rasch um, probte in fast gleicher Besetzung Umberto Giordanos „Sibirien“ und brachte die Oper im Dezember 1903 erstmals auf die Bühne. Puccinis „Madame Butterfly“ folgte dann wenige Monate später.

Nach der Premiere der Neuinszenierung von „Sibirien“ in Bregenz und zwei Folgeaufführungen kommt die Produktion ins Programm des Theaters Bonn. Die musikalische Leitung übernimmt in Bregenz Valentin Uryupin, der dem Publikum von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ im Sommer 2019 bestens in Erinnerung ist.

Premiere von „Sibirien“ am 21. Juli, 19.30 Uhr im Bregenzer Festspielhaus. Weitere Aufführungen: 24. Juli, 11 Uhr; 1. August, 19.30 Uhr.

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