Kritik der Festspielpremiere: So wird mit Superlativen auf dem See Schluss gemacht

Wenn schon „Madame Butterfly“ auf dem See, dann trotz offener Fragen wahrscheinlich wirklich so.
Bregenz Für die Wiener Symphoniker ist es immer dasselbe. Sie sitzen auf der Bühne des Bregenzer Festspielhauses, während der Orchesterklang auf den See übertragen wird.
Mittlerweile geschieht das in derart hoher Qualität, dass die Bregenzer Festspiele es wagen konnten, eine Oper wie Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ in das Programm zu nehmen, wobei der korrekte italienische Titel „Madama Butterfly“ des 1904 uraufgeführten Werks internationalisiert wurde. Dass Regisseur Andreas Homoki hingegen keine aktuelle Sextourismusgeschichte und somit ein globales Thema forciert, sondern, verdeutlicht durch die Kostüme von Antony McDonald, einer erstarrten japanischen Kultur zum Ende des Shogunats ein Amerika der 1950er-Jahre gegenüberstellt, beinhaltet zwar einen Zeitsprung, ist von der Handlung her aber absolut plausibel.

Abbruch bei der Premiere
So weit die Grundkonstellation auf diesem 23 Meter hohen und 33 Meter breiten, filigran bemalten japanischen Zeichenblatt von Michael Levine, das das zentrale, unbewegliche Podium bildet, das lediglich durch Videotechnik Veränderung erfährt. Bespielt wird es von ganz oben mit einem märchenhaften ersten Auftritt der Geishas bis ganz unten.
Ihre berühmte Arie „Un bel di vedremo“ singt Cio-Cio-San, genannt Butterfly, auf dem letzten Eck der über dem See aufragenden Plattform. Gehüllt in die amerikanische Flagge sehnt sie sich nach der Rückkehr des geliebten Mannes. Man ist beeindruckt von der Stimme der Sopranistin Barno Ismatullaeva und fiebert mit, weil der Wind am Premierenabend in diesen Momenten schon so stark weht, dass ein Verheddern im Stoff zu befürchten ist.


Doch bald darauf kam ohnehin der Abbruch. Nach einem kurzen Regenschauer in der ersten halben Stunde war die Seebühne von Gewitterfronten umzingelt. Etwa 1600 Personen konnten eine erweitert konzertante Fortsetzung der Aufführung im Festspielhaus erleben, der große Rest der knapp 7000 Premierenbesucher erhält das Eintrittsgeld zurück.
Hervorragende Besetzung
Für das Orchester ist es, wie erwähnt, somit dasselbe. Enrique Mazzola scheut auch im Haus kein Puccini-Pathos, braucht ob der Filigranität mancher Partiturstellen aber keine Sorge mehr zu haben, wie sie sich nach draußen überträgt und offerierte den Farbenreichtum, der zum Ziel haben soll, dass das dramatische Geschehen um Cio-Cio-San plastisch wird, in suggestiver Schattierung.
Mit stehenden Ovationen bedankte sich das Publikum nicht nur für die die Sängerinnen und Sänger belastenden Umstände einer Übersiedlung vom See in das Haus, sondern wohl auch für das hohe Niveau von Orchester und Chor und eine insgesamt hervorragende Besetzung.

Barno Ismatullaeva bringt bei sicherer Höhe eine Zartheit und zugleich viel Bestimmtheit zum Ausdruck. Das bringt uns die Rolle dieser jungen Frau näher, die sich umbringt, nachdem sich der Ausbruch aus der erstarrten Gesellschaft durch die Heirat mit einem Amerikaner als Trugbild erweist. Der Tenor Edgaras Montvidas (Pinkerton) kann in der Liebesszene nicht vollends überzeugen, lässt beim schwierigen Schlussauftritt aber seine gute Ausdrucksfähigkeit erkennen.
Brian Mulligan (Sharpless) entspricht mit kräftig timbriertem Bariton einer Wunschbesetzung, Annalisa Stroppa (Suzuki) ist in dieser Figurenkonstellation eine schöne Konstante mit entsprechend großem Ausdrucksspektrum. Die uncharmante Partie des Goro ist mit Taylan Reinhard gut besetzt. Omer Kobiljak hat einen prägnanten Auftritt als Yamadori und die Bässe (Stanislav Vorobyov und Unnsteinn Arnason) tun es ihm gleich.
Großer Kontrast
Soweit der musikalische Teil, der szenische lässt sich angesichts der ersten Stunde der Premierenaufführung und des Besuchs der öffentlichen Generalprobe thematisieren.

Der Kontrast könnte allerdings nicht größer sein. Zuletzt präsentierten die Festspiele mit Verdis „Rigoletto“ die spektakulärste Umsetzung einer Oper auf dem See seit Alfred Wopmann mit Jérôme Savary und Mozarts „Zauberflöte“ Mitte der 1980er-Jahre effektvoll bewegte Kulissen einführte. Ein Clown verwandelte sich zum Totenkopf, ließ einen Ballon in den Nachthimmel steigen, war Mitspieler, Beobachter und hielt im Mund wie in den Händen noch so einiges verborgen. Philipp Stölzl, der Schöpfer dieser Bühnenskulptur, kommt 2024 mit dem „Freischütz“ wieder. Nun macht Regisseur Andreas Homoki mit seinen Ausstattern Schluss mit derlei Superlativen.
Kompromisslos
Man kann ihm erstens zugutehalten, dass er in „Madame Butterfly“ ein emanzipatorisches Stück sieht und entsprechend der Musik die Hauptfigur fokussiert. Wenn man die Ansicht vertritt, dass dieses Kammerspiel in einer Naturkulisse wie dem Bodensee vor Tausenden von Zuschauern ausgebreitet werden kann, weil es die Musik groß macht, dann wahrscheinlich wirklich nur so. Die Konzentration auf die Hauptfigur, die hier an einer Utopie festhält und nach Humanität sucht, die ihr die Gesellschaft in Japan wie in Amerika verwehrt, gelingt durch kompromisslose Reduzierung. Die Bewegung der Personen auf diesem gewellten, wie angeschwemmt wirkenden Blatt, die Geishas, die in ihren Gewändern die Sonnenuntergangsfarben aufnehmen und sich schließlich in Geister verwandeln, die Veränderung der Landschaftszeichnung, auf der in der Liebesszene ein verhangener Mond erscheint und auf der Motive in den einzelnen Szenen farblich hervortreten sowie der im Bild erscheinende Bozo und das Papierboot als Sehnsuchtsort – das ist alles logisch und sehr ästhetisch ohne dass das harte Drama dabei in Schönheit ertränkt wird. Der Idee kann man beistimmen. Wenn die Zeichnung beim Tod von Cio-Cio-San dann so grausam verglüht, rundet sich das Bild.
Offene Fragen
Fragen kommen dennoch auf. Gäbe es neben dem Mast mit der amerikanischen Flagge, die als Zeichen der Respektlosigkeit des Leutnants Pinkerton gegenüber der japanischen Kultur diese Zeichnung durchbricht und einem Yamadori-Auftritt im Wasser, der klar macht, dass die Heirat mit dem Fürsten keine Alternative ist, nicht etwa über Simultanbühnen oder andere Effekte die Möglichkeit Cio-Cio-Sans Vorgeschichte zu erläutern? Das winzige Kästchen, in dem sie Erinnerungsstücke aufbewahrt, dürfte auf den hinteren Tribünenplätzen kaum zu sehen sein. Die Unausweichlichkeit ihres Entschlusses, sich mit dem Seppuku-Dolch ihres Vaters zu töten sowie die Anklage an die verbohrte Mitwelt käme damit deutlicher zum Ausdruck.

Übrigens: Für die Hauptrollen gibt es drei Besetzungen. Die der öffentlichen Generalprobe erwies sich im Vergleich mit der Premiere als adäquat. Der musikalische Part hat selbstverständlich Festspielniveau. Szenisch gilt: Wenn schon „Madame Butterfly“ auf dem See, dann in dieser Optik.

„Madame Butterfly“ steht bis zum 21. August auf dem Programm der Bregenzer Festspiele.




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