Walter Fink

Kommentar

Walter Fink

Das gewichtigste Wort

Kultur / 22.07.2022 • 18:05 Uhr / 4 Minuten Lesezeit

Viel Bemerkenswertes und Erinnernswertes konnten wir in den vergangenen Tagen bei den und um die Bregenzer Festspiele erleben. Da war „Madame Butterfly“ von Giacomo Puccini, von dem viele nicht sicher waren, dass das auf der großen Bühne im See wirklich gutgehen könnte. Nach Beurteilung der ersten Hälfte, die im Freien stattfand, bevor wegen Regens ins Haus übersiedelt werden musste, waren die Bedenken aufgrund eines überragenden Lichtkonzepts nicht wirklich begründet. Da war die Hausoper „Sibirien“ von Umberto Giordano, die große Gefühle auf die Bühne brachte. Da waren „Nebenveranstaltungen“ wie die beeindruckende, signierte „Taurus“-Lokomotive von Gottfried Bechtold, da gab es die Aufstelllung des großen „Knotens“ von Herbert Meusburger am Leutbühel, schließlich war die erstaunlich informative Randspiel-Ausstellung im Künstlerhaus ein guter Anlass, sich wieder einmal jener Zeit zu besinnen, in der sich Vorarlberg aus der reaktionären politischen Umklammerung der Landespolitik befreien konnte.

Doch ein Ereignis der letzten Tage bleibt am tiefsten im Gedächtnis: Die Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der Festspiele. Natürlich: Da gab es auch das durchaus über die Begrüßung hinausgehende Statement von Festspielpräsident Hans-Peter Metzler, ebenso die ins Grundsätzliche gehenden Erläuterungen von Kunststaatssekretärin Andrea Mayer. Über all das hinaus, über die Kunst, die Kultur und die Festspiele hinaus aber ging Van der Bellen, indem er uns den Spiegel vorhielt: Hier wir, die saturierten Festspielbesucher, dort die Kriegsleiden in der Ukraine, hier das Spiel mit der Kunst, dort jenes mit den tödlichen Waffen. Und nicht zuletzt zeichnete der Bundespräsident eine Zukunft, wie wir sie uns seit vielen Jahrzehnten nicht mehr vorstellen konnten: Keine wirtschaftliche Entwicklung immer nach oben, sondern Inflation, Rezession, Unsicherheit auf allen Ebenen. Wir müssen uns von der warmen Stube möglicherweise ebenso verabschieden wie vom sicheren Arbeitsplatz, der ewig scheinende Frieden könnte einer ständigen militärischen Unsicherheit weichen, die sonst nur in weiter Ferne wahrgenommenen kriegerischen Ereignisse könnten ganz schnell ganz nahe bei uns im wahrsten Sinne des Wortes einschlagen. Es war keine gewöhnliche Rede zur Festspieleröffnung, die Alexander Van der Bellen in Bregenz gehalten hat, es war ein Weckruf, der uns und vor allem auch unsere politischen Vertreter aus der Lethargie holen sollte. Die Insel der Seligen, auf der wir uns wähnten und die man uns auch einredete, ist endgültig im Putinschen Meer der Aggression versunken. Und genau darauf müssen wir, so der Bundespräsident, mit Zusammenhalt, mit Entschlossenheit und Mut reagieren. Gegen den Krieg müssen wir den Mut zum Frieden setzen.

„Wir müssen uns von der warmen Stube möglicherweise ebenso verabschieden wie vom sicheren Arbeitsplatz.“

Walter Fink

walter.fink@vn.at

Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.

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