Wie Albrecht Dürer auf die Festspielbühne kommt

Brigitta Muntendorf, Komponistin der Bregenzer Festspielproduktion „Melencolia“, betont das Potenzial der Melancholie.
Bregenz Wenn Brigitta Muntendorf von Aufführungen ihrer Werke spricht, entstehen gleich Bilder im Kopf. Eines zeigt Musiker mit verbundenen Augen, die vom Publikum an ihren Platz geführt werden. „Ich wollte damit sagen, dass ich das Publikum brauche, ohne Publikum gibt meine Arbeit keinen Sinn. Die Leute haben das nicht nur so, sondern sehr unterschiedlich interpretiert, aber auch das finde ich schön.“ Die Bregenzer Festspiele und das Ensemble Modern haben Brigitta Muntendorf einen Kompositionsauftrag erteilt. Die Oper „Melencolia“ wird am 18. August uraufgeführt. Gemeinsam mit dem Dramaturgen Moritz Lobeck hat Muntendorf auch das Regiekonzept erstellt.

Der Titel des Werks leitet sich vom Stich „Melencolia I“ von Albrecht Dürer ab. „Wir haben für die Melancholie zu wenig Platz in der Gesellschaft“, erläutert Muntendorf ihre Intention. „Es ist diese Melancholie, die uns ein wenig von uns selbst entführt, eine Melancholie, die dafür sorgt, dass wir nicht immer um uns kreisen, sondern dass wir uns Gedanken machen über das große Ganze. Eine Figur sinniert, wir wissen nicht worüber, aber vielleicht über den Sinn des Lebens. Wir sehen oben eine Apokalypse und daneben dieses Zahlenrätsel. Es gibt noch ein Bild von Dürer, das ist weniger bekannt, da sitzt er grübelnd an seinem Tisch und schaut schon aus wie der Tod. Dieses Nachdenken über die Welt, über die Frage, warum wir hier sind, das schafft automatisch eine Distanz zu sich selbst. Es geht hier um die Frage, wie wir miteinander leben wollen.“

Dass wir in diesem Dürer-Werk aus dem Jahr 1514 eine Traurigkeit sehen, hänge auch davon ab, wie wir sozialisiert sind. In der westlichen Kultur werde die Melancholie oft mit der Depression gleichgesetzt. Das sei völlig falsch. „Die Depression ist etwas Pathologisches, die Melancholie nicht.“ Das Bild zeige einen Stillstand, gleichzeitig ist in der oberen Hälfte aber einiges los und zudem gäbe es Hinweise auf die Wissenschaft. „Vielleicht sind das die Fragen, die uns beschäftigen sollten.“
Eine durchgehende Geschichte erzählt sie nicht in ihrem Stück. Es sind sieben Bilder zu sieben unterschiedlichen Situationen. Einmal wird beispielsweise Robert Burton zitiert, der eine „Anatomie der Melancholie“ verfasst hat. Dann gibt es eine Szene, in der es um die Herkunft geht. Auch die Frage, woran man sich abarbeitet, wird gestellt. Muntendorf: „Wenn ich als Zuschauer eine Geschichte wünsche, dann kann ich mich komplett auf die Musik verlassen. Es ist auch eine Einladung, in den Zustand einzutauchen. Dieses Eintauchen wird verstärkt durch den Klang, der uns umgibt. Ich möchte das Publikum abholen. Das ist mir wichtig.“

Das Ensemble Modern tritt mit 14 Musikerinnen und Musikern auf. In der Vorarbeit wurde erkundet, was die Künstlerinnen und Künstler mitbringen. Die Stimme eines tollen Sprechers wurde dann beispielsweise geklont. Einzelne Protagonisten wurden gefilmt und in die Screens „gebeamt“, auf denen etwa Landschaftsbilder zu sehen sind. Den Prolog wird das Publikum via App und Augmented Reality selbst gestalten können. „Es erscheinen dabei bereits Fragmente aus der Oper, da geht es einfach nur darum, dass wir das Publikum zu Beginn spielerisch in Kontakt zueinander bringen wollen.“

Ihre Arbeiten sind „nicht nur Hardcore neue Musik“, erklärt Brigitta Muntendorf. Neu sei auch das, was die Bedeutung ändert. Sie will auch mit einem Publikum kommunizieren, das nicht ohnehin schon aus dem Bereich der neuen Musik kommt. Das Nebeneinander von „Madame Butterfly“ und einer Uraufführung, wie es sich im Programm der Bregenzer Festspiele darstellt, ist das, was ihr behagt. „Wir haben hier nicht das Gefühl, dass wir die neue Musikecke auf der Werkstattbühne abdecken, sondern dass in Bregenz das Miteinander wirklich als solches gilt.“
Brigitta Muntendorf wurde in Hamburg geboren, hat aber Vorarlberger Wurzeln. Ihre Mutter stammt aus Kennelbach, sie hatte damals auch im Festspielchor auf der Seebühne gesungen und wie die Tochter sagt, „eine sehr schöne Zeit erlebt.“ Die in Deutschland tätige Komponistin und Hochschulprofessorin kommt immer wieder gerne nach Österreich, und Vorarlberg fühle sich für sie schon ein wenig nach Heimat an.

Uraufführung von „Melencolia“ am 18. August, 20 Uhr, auf der Werkstattbühne im Bregenzer Festspielhaus. Folgeaufführung: 20. August.