Schubert pur auf allen Linien

Bei der Schubertiade erlebte man Großartiges in Kammermusik und Liedgesang.
Schwarzenberg Die Schubertiade hat mit ihrem zweiten Teil wieder im Angelika-Kauffmann-Saal Einzug gehalten, wie vor Corona kritisch beurteilt von einem internationalen Fachpublikum. Das Wetter ist schön, der Saal meist ausgebucht, die Stimmung glänzend. Am Dienstag, mit exzellenten Auftritten in Kammermusik und Liedgesang, überwiegen Jubel und Begeisterung.
Schon am Nachmittag korrespondieren die milden Spätsommertage im Bregenzerwald inhaltlich ideal mit dem Programm des Quatuor Modigliani. Auch dort geht es im zentralen Werk, Schuberts viel geliebtem Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, um den Abschied von Liebgewordenem, um Entsagung und Aufbäumen gegen das Schicksal. Die vier großartigen französischen Musiker des Quartetts, die sich 2003 den italienischen Maler Modigliani zu ihrem Namenspatron gewählt haben und längst als eines der weltweit führenden Ensembles gelten, setzen damit den Schlusspunkt unter ihre fünfteilige Reihe mit 15 Streichquartetten Schuberts. Bestens vorbereitet durch eine vorangegangene Gesamteinspielung bei Mirare, haben sie diesen Zyklus nun erstmals bei der Schubertiade aufgeführt. Und der hatte es in sich.
Das Geheimnis ihres Erfolges liegt bei den Modiglianis mit ihrem lupenrein intonierenden Primarius Amaury Coeytaux wohl darin, dass sie Schubert von Grund auf neu entdecken wollten, ganz ohne abgestandene Klischees des europäischen Konzertlebens. Schubert pur also, aus seiner zwiespältigen Persönlichkeit heraus unmittelbar nachempfunden zwischen Liebe und Leid, Leben und Tod, und gerade das geht unter die Haut. Aschfahler und so vibratolos hat man das Andante der Liedvariationen noch nie erlebt, niemals waghalsiger auch den Parforce-Ritt ins Nichts des Finalsatzes. Die Ovationen der Zuhörer lassen darauf schließen, dass manche von ihnen den gesamten Zyklus konsumiert haben, was nur bei einem solchen Festival möglich ist.

Von größter Natürlichkeit
Ein schönes Beispiel für die Beständigkeit und Verbundenheit eines Künstlers mit einem Ort und dessen Publikum ist der deutsche Tenor Christoph Prégardien, der seit fast 30 Jahren hier mit seiner Kunst des inhaltsreichen, wortdeutlichen lyrischen Liedgesanges von größter Natürlichkeit seine Zuhörer gefangen nimmt. Gleichwohl beginnt sein Schubertprogramm diesmal mit wenig spannenden und zu tiefen Liedern schön, aber langweilig, also schön langweilig. Erst danach zündet der Sänger seine ersten Raketen wie „Der Wanderer an den Mond“ oder das „Zügenglöcklein“, das einen erschaudern lässt.
Der Bann ist gebrochen, vor allem, als Prégardien französische Spätromantik von Henri Duparc (1848–1933) mit dessen impressionistisch kolorierten, müden Liedern wohl zum ersten Mal bei diesem Festival ins Spiel bringt. Eine weitere Gelegenheit, seine gepflegte Legatokultur, das Strömen seiner in allen Registern bis zum Falsett bestens intakten Stimme vorzuführen. Mit seinem Klavierpartner Julius Drake hat er eben zwei Einspielungen abgeliefert, ist besonders eng mit ihm verbunden. Dieser lässt sich auch bei Hasardstücken wie „Auf der Bruck“ oder „Willkommen und Abschied“ nicht lumpen und meißelt das perfekt aus dem Steinway. Die wirkliche Klasse Prégardiens zeigt sich daran, dass er nach einem so extrem fordernden Programm zwar nassgeschwitzt, aber immerhin als zweite Zugabe mit „Heil’ge Nacht“ einen der in Pianokultur und Atemtechnik forderndsten Schubertgesänge auf traumhaftem Niveau meistert. Das soll dem 66-Jährigen erst einmal jemand nachmachen. Dafür erhält er auch die einzigen Standing Ovations dieses Tages. Fritz Jurmann