Flirrender Zauber eines ungewollten Sommers

Kultur / 16.09.2022 • 17:22 Uhr / 3 Minuten Lesezeit
Der ­MarkisenmannJan WeilerHeyne Verlag336 Seiten

Der ­Markisenmann

Jan Weiler

Heyne Verlag

336 Seiten

„Der Markisenmann“ ist eine großartige Vater-Tochter-Geschichte.

Coming of Age Mit „Der Markisenmann“, legt Erfolgsautor Jan Weiler („Das Pubertier“) seinen siebten Roman vor, der zu den herrausragenden Lektüren des Jahres 2022 zählt. Dass er nicht unter den nominierten für den Deutschen Buchpreis zu finden ist, irritiert und ist zu bedauern.

Im Mittelpunkt der Geschichte, die im Jahr 2005 spielt, steht Kim. Sie ist heute 31 Jahre alt und blickt auf ihr 15. Lebensjahr zurück, auf die Zeit, als sie mit ihrer Mutter Susanne, ihrem Bruder Geoffrey und ihrem Stiefvater Heiko in einem schicken Haus mit Pool wohnt. In ihrer wohlhabenden Patchwork-Familie fühlt sie sich fehl am Platz und ausgegrenzt. Sie ist eben nur die Tochter des „feinen Herrn Papen“, wie ihr Stiefvater, Heiko Mikulla, ihren leiblichen Vater abschätzig nennt. Dieses „Alleingelassen sein“ macht sie zu einem aufmüpfigen Teenager, der klaut und die Schule schwänzt. Eines Abends kommt es zum Eklat: Beim Grillabend wird Geoffrey durch Kims Schuld bei einem Unfall schwer verletzt. Zur Strafe darf sie nicht mit nach Florida, sondern muss den Sommer bei ihrem Vater verbringen, den sie nur von einem unscharfen Foto kennt und der bisher ebenfalls keinerlei Interesse an ihr hatte.

Ronald Papen lebt in einer Lagerhalle im Industriegebiet von Duisburg und ist das genaue Gegenteil von dem, was sich sie vorstellt hatte. Er entpuppt sich als herzensguter Überlebenskünstler, der mehr oder weniger erfolglos 70er-Jahre-Markisen verkauft.

Knapp 4000 Stück aus einem braun-orangen Retrostoff liegen in seiner Lagerhalle, die er kurz nach der Wende aus DDR-Beständen zu einem günstigen Preis erworben hat. Als Kim sich entscheidet, ihren Vater bei seinen akribisch geplanten Touren zu begleiten, entwickelt sich ein zartes Band der Verbundenheit zwischen den beiden. Die pfiffige Jugendliche entwirft schnell eine Verkaufsstrategie, die die Geschäfte des Vaters durch die Decke gehen lässt.

In diesem Sommer verändert sich das Leben aller Beteiligten und ein lang gehütetes Familiengeheimnis, das seinen Ursprung in der DDR hatte, wird gelüftet. Der Markisenmann ist ein herrlich tragisch-komisches Buch über das Erwachsenwerden, familiärer Bande und den flirrenden Zauber des Sommers und der schönste Vater-Tochter-Roman, den ich kenne.

Tiefgang bekommt der Roman zudem durch die Fragen nach Schuld, Vergangenheit und Wurzeln. Ein wirklich großartiges Buch, zu dem es auch einen Sound-Track gibt, der über einen QR-Code abgerufen werden kann. CRO