Nora oder So toll kann ein Theaterabend sein

Tolle Neuübersetzung gepaart mit grandioser Inszenierung und Besetzung.
Bregenz Zum Glück gibt es in der Welt des Theaters viele starke Frauenfiguren, auch wenn bedeutend weniger als männliche. Nora, die ihren Mann verlässt, nachdem sie einsehen muss, dass sie ihr Leben in einem goldenen Käfig eingerichtet hat, ist wohl eine der begehrtesten weiblichen Rollen. Warum dies so ist, stellte Maria Lisa Huber mit ihrer Interpretation dieser für die damalige Zeiten emanzipierten jungen Frau eindrucksvoll dar.

Der bekannte und vielfach ausgezeichnete Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel, unter anderem übersetzt er auch Michel Houellebecq, hat „Nora oder Ein Puppenhaus“ neu ins Deutsche übertragenen: «Mein Ziel mit diesen Neuübersetzungen ist es, den Text behutsam zu entrümpeln und doch möglichst nah bei ihm zu bleiben, in einer Weise, die das innere Verhältnis der Figuren zueinander freilegt, ohne es platt herauszustellen, so, wie es Ibsen auf seine Weise, mit dem Zungenschlag seiner Zeit, auch gemacht hat.“ Und das ist Schmidt-Henkel gelungen. Die Übersetzung ist wunderbar zeitlos, dennoch modern, man kann sicher sein, Ibsen wäre überaus zufrieden.

Regisseurin Birgit Schreyer Duarte, die in der letzten Saison in der Box “Else (Ohne Fräulein)” inszeniert und dafür den Stella Preis in der Kategorie „herausragende Produktion für Jugendliche“ bekommen hat, gelingt es, den großartigen Text kongenial auf die Bühne zu bringen. Kreative, stimmige Einfälle wie musikalische Zwischenspielen oder Live-Aufnahmen, die auf eine Videowall projiziert werden, sind stets stimmig, nie aufdringlich, immer zum Stück passend. Die Regisseurin lässt dem Autor sein Werk, macht es aber zu einer eigenständigen, intelligenten und unterhaltsamen Produktion. Großes Kompliment. Es wäre schön, auch zukünftig Inszenierungen von Schreyer Duarte in Vorarlberg sehen zu können.

Das Bühnenbild von Bartholomäus Martin Kleppek besteht aus einer vielseitig einsetzbaren Holzwand, die am Ende des Stücks einen lautstarken Auftritt hat. Simon Tamerl gelingt es mit einem sehr gut eingesetzten Licht, die jeweilige Stimmung des Stücks adäquat umzusetzen.

Maria Lisa Huber spielt ihre „Nora“ anfänglich naiv, überdreht, kokett, den Ehemann mit ihrem Charme um den Finger wickelnd. Die junge Schauspielerin, überaus präsent mit einer starken Ausstrahlung sowie großem schauspielerischem Können, triumphiert am Ende als eigenständige, selbstbewusste Frau.
David Kopp in X-Large-Norwegerpulli, zuerst als Bankdirektor in spe und seines kleinen Eichhörnchens Nora wegen bestens gelaunt, wird nur wenige Augenblicke später väterlich streng, wenn er mit seiner kleinen Gattin schimpfen muss, bis er am Ende der gekränkte Ehemann ist, für den seine Welt zusammenbricht. Tolle Leistung.

Überhaupt lässt die Regisseurin ihren Darstellern angemessen viel Zeit, ihre Rollen zu entwickeln. Großartig Tobias Kröger, der den unsympathischen Dr. Krogstad so vielschichtig verkörpert, dass man für den Erpresser nicht nur Abscheu, sondern auch Verständnis und gar Mitleid empfindet. Zoe Hutmacher spielt die vermeintlich intrigante, geheimnisvolle Freundin Noras, Christine Linde, mit großer Intensität. Beim gemeinsamen Tanz mit Tobias Kröger zu Beginn des 3. Aktes, bei dem die beiden Akteure um die Wahrheit ringen, knistert vor Anspannung die Luft.

Der sterbenskranke Freund der Familie, Doktor Rank, wird mit viel Empathie von Suat Ünaldi dargestellt. Als dieser beim letzten Gespräch mit Nora festhält: „Beim nächsten Maskenball werde ich unsichtbar sein“, spürt man die Ergriffenheit des Publikums. Eine ganz besondere Rolle wird der wunderbaren Bregenzer Tänzerin Silvia Salzmann zuteil. Sie übersetzt die Gefühle, die Gedanken, das Innenleben von Nora mit ihren eindrucksvollen Tänzen.
NORA: Leb wohl, Torvald. Ich will die Kleinen nicht sehen. Ich weiß, sie sind bei einem Kindermädchen in besseren Händen als meinen. So, wie ich jetzt bin, bin ich nicht gut für sie.
HELMER. Aber irgendwann vielleicht, Nora, – irgendwann -?
NORA. Woher soll ich das wissen? Auf beiden Seiten soll völlige Freiheit herrschen.
Ein wunderbarer Theaterabend im Vorarlberger Landestheater geht zu Ende.
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