Radikal, wichtig und auch witzig

Kultur / 06.11.2022 • 23:00 Uhr / 5 Minuten Lesezeit
Julian Härtner in "Die Welt im Rücken", der Bühnenadaption des Romans von Thomas Melle in Schaan. <span class="copyright">TaK/Ilja Mess</span>
Julian Härtner in "Die Welt im Rücken", der Bühnenadaption des Romans von Thomas Melle in Schaan. TaK/Ilja Mess

Theater am Kirchplatz profiliert sich mit “Die Welt im Rücken” von Thomas Melle.

Schaan Die Kraft der Uraufführung von „Die Welt im Rücken“, der Adaption des Romans von Thomas Melle, vor rund fünf Jahren wird keine Inszenierung erreichen. Joachim Meyerhoffs Auftritt in der Regie von Jan Bosse im Wiener Akademietheater bleibt beispiellos. Es ist gut, dass das Theater am Kirchplatz (TaK) in Schaan sich gar nicht erst an eine solch bildstarke, viel Körpereinsatz verlangende Performance heranzutasten versucht, das Werk aber dennoch anbietet. Die auf knapp eineinhalb Stunden eingedampfte Fassung gönnt dem Publikum keine ruhige Minute, es dringt jedoch viel durch, was die radikale Erzählung ausmacht. Regisseur Oliver Vorwerk tut nämlich gut daran, auf einen konsequent strukturierten Ablauf zu setzen, Irritationen keinesfalls zu verstärken und die hohe literarische Qualität des Werks damit zur Wirkung kommen zu lassen.

Das Auftrittspodium für "Die Welt im Rücken" ist ein Gerüst, das im Zuschauerraum postiert wurde. <span class="copyright">TaK/Ilja Mess</span>
Das Auftrittspodium für "Die Welt im Rücken" ist ein Gerüst, das im Zuschauerraum postiert wurde. TaK/Ilja Mess

Mit dem 2016 erschienenen Roman „Die Welt im Rücken“ hat der deutsche Schriftsteller Thomas Melle (geb. 1975) seine Krankheit, eine manisch-depressive bzw. bipolare Störung, thematisiert. Es ist kein Anschreiben gegen das Unwissen oder Unverständnis, sondern eine präzise Beschreibung der eigenen Wahrnehmung. Die literarische Überhöhung ist dabei immer wieder von einem fein erspürten Humor überzogen und über jeglichem Zynismus, der sich in der deutschen Selbstreflexionsliteratur mitunter breit macht, ist Melle sowieso erhaben. Wenn er das Theater als Säuferverein tituliert, dann hat er es als mehrfach ausgezeichneter Dramatiker bei Probenprozessen so erfahren und liefert dem Publikum nach dem Lacher die Erkenntnis wie das so ist, wenn eine Rolle von den Akteuren eine Art Enthäutung verlangt.

Beeindruckende Trennschärfe

Hier zeigt sich auch die Entschiedenheit der Inszenierung. Oliver Vorwerk liebäugelt nicht mit dem Klischee der Nähe von Genie und Wahnsinn und Julian Härtner agiert dabei mit beeindruckender Trennschärfe. Mit der Naivität, die der Schauspieler als kluger und niemals überheblicher Beobachter immer wieder gut zum Ausdruck bringt, rückt er den Zuschauern sehr nahe. Ja, man nimmt Anteil, will wissen, was in dem jungen Mann vorgeht, der so wunderbar unterhaltsam vom Sex mit Madonna faselt, Abstürze durchleidet, Aufenthalte in geschlossenen Anstalten durchläuft und ungemein berührt, wenn er davon erzählt, dass er als Kind mit dem Vater „Heidi“ guckte, noch Wärme verspürte, obwohl die Polizei wegen Gewalttätigkeiten ins Haus kam.  

Zur Ausstattung zählen auch Videoeffekte und eingeblendete Textstellen. <span class="copyright">TaK/Ilja Mess</span>
Zur Ausstattung zählen auch Videoeffekte und eingeblendete Textstellen. TaK/Ilja Mess

Ausstatter Alexander Grüner verlangt zudem Herausforderndes. Ein im Zuschauerraum postiertes Gerüst dient als beengtes Auftrittspodium, das den Abstand zwischen Akteur und Publikum verringert. Auf der eigentlichen Bühne untermauern oder kontrastieren Videoeffekte (rasche Fahrt durch Berlin, Aufschreie des Protagonisten oder Ausschnitte aus dem Comic „Fritz the Cat“) die Erzählhandlung. Mit immer wieder eingeblendeten Textzeilen oder Lou Reeds „Just a perfect day“ ergeben sich unterschiedliche Stimmungsbilder, die niemals zerfransen. Wohl auch, weil Julian Härtner zu einem Tonfall findet, der sich bei allen Ausbrüchen bar jeglicher Manieriertheit bündeln lässt.

Besetzungsqualität

Das trifft, das interessiert, das ist wahr und Theater. Nach der Vorstellung am 16. November findet ein Gespräch mit Regisseur Oliver Vorwerk, Intendant Thomas Spieckermann und dem Psychiater Marc Riesch statt. Galt es in „Richard III.“, einer Produktion, die in wenigen Monaten wieder ins Programm genommen wird, exzellenten Schauspielerinnen wie Sylvana Schneider und Stephanie Schönfeld zu begegnen, so ist es nun Julian Härtner, der die Besetzungsqualität im TaK garantiert, das sich allerdings nur wenige Eigenproduktionen pro Jahr leistet.

<p class="caption">Kommt wieder auf den TaK-Spielplan:  „Richard III.“, eine Adaption des Königsdramas von Shakespeare. <span class="copyright">TaK/Ilja Mess</span></p>

Kommt wieder auf den TaK-Spielplan: „Richard III.“, eine Adaption des Königsdramas von Shakespeare. TaK/Ilja Mess

Weitere Aufführungen von „Die Welt im Rücken“ im Theater am Kirchplatz in Schaan am 16. November und 8. Dezember, jeweils 20.09 Uhr.

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