Das Brahms-Versteckspiel

Ein neues Werk und zwei Debüts beim Symphonieorchesters Vorarlberg unter Gerrit Prießnitz.
FELDKIRCH Das 3. Abokonzert des SOV begann am Samstag im voll besetzten Montforthaus mit einer österreichischen Erstaufführung. Der Schrecken darüber bei manchen Besuchern legte sich bald, denn das Werk „Weites Land“ des deutschen Komponisten Detlev Glanert, den man von seiner Oper „Solaris“ 2012 bei den Festspielen in bester Erinnerung hat, erwies sich als durchaus ansprechendes, packend farbenreiches Tongemälde nach Motiven der „Vierten“ von Brahms. Weil gerade Advent ist, könnte man daraus auch ein lustiges musikalisches Versteckspiel für Groß und Klein basteln: Wer zuerst alle Brahms-Zitate errät, hat gewonnen.

Natürlich muss Glanert nicht etwa mangels eigener Ideen für seine Werke Anleihen bei Brahms nehmen. Er folgt damit vielmehr einem aktuellen Trend, den auch Komponisten wie Richard Dünser durchaus erfolgreich praktizieren. Glanert schreibt auch nicht ab, er verwendet vielmehr Elemente aus der Tradition, um sie in neuer Form als Basis und Inspiration eigener Kreativität anzuwenden und dabei seine Eigenständigkeit zu wahren. Hier ist es das markante Eröffnungsmotiv der „Vierten“ Brahms, das er mit kräftigem Pinsel gegen den Strich zu einem kontrastreichen, naturhaften Klangbild voll gleißender Eruptionen und weiten Klangflächen ausgestaltet hat. Damit ist „Weites Land“ ein packendes Stück Neuer Musik, das sich seiner Vorlage je länger umso mehr annähert und tonal endet. Das Publikum reagiert freundlich.
Am Pult des SOV debütiert an diesem Abend der Deutsche Gerrit Prießnitz, seit längerem an der Wiener Volksoper tätig und also mit vielen Wassern gewaschen. Auch hier gibt er sich als überaus routinierter, umsichtiger Dirigent, temperamentvoll kontrolliert, der offenbar auch rasch den Draht zu den Musikern gefunden hat und den man gerne wieder sehen würde.

Prießnitz hat auch den Solisten des Abends empfohlen, den finnischen Pianisten Johannes Piirto (30). Es war ein Glücksgriff, denn der junge Künstler erweist sich bei seinem Debüt Beethovens virtuosem erstem Klavierkonzert C-Dur technisch in jedem Moment gewachsen, dabei von höchster Anschlagskultur und im lyrischen Bereich als unglaublich sensibel. Dafür steht das wunderbare Largo, das man ungeschaut Mozart zuschreiben würde, wenn man nicht genau wüsste, dass es eben doch von Beethoven ist. Stimmiger hätte man sich auch die Kommunikation zwischen dem hochmusikalischen Solisten und dem Orchester mit den vielen feinen Bläserdialogen nicht vorstellen können. Der Jubel im Saal ist groß.

Und dann zum Finale noch Brahms pur, das Original, seine mächtige letzte Symphonie Nr. 4 e-Moll von 40 Minuten Dauer, von Dirigent und Orchester straff mit einem großen Spannungsbogen überzogen. Seltsame Parallelität: Im letzten Satz, einer Passacaglia, greift Brahms seinerseits auf fremdes Material zurück, eine Bachkantate, die er in barocker Manier 31-mal variiert. Prießnitz hat mit seinen Musikern sorgfältig an der komplexen Motivik, den jubelnden Melodielinien in Streichern und Holz, den mächtig aufrauschenden, gepanzerten Blecheinwürfen gearbeitet. So vermittelt das Werk in dieser aktuell geschärften, kontrastreichen Version auch der erfahrenen Zuhörerin neue, aufregende Einsichten.
FRITZ JURMANN
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